von Michael Kotsch
„Die biblischen Aussagen von Jesus Christus sind am wichtigsten! Schließlich sind es wörtliche Zitate von Gott selbst. Was Paulus, Petrus und Jakobus oder Mose, David und Jeremia gesagt haben ist zwar auch irgendwie Gottes Wort, aber eben doch nicht auf derselben Stufe der Wichtigkeit und Autorität.“ – Unterschiede in der Bedeutung biblischer Aussagen zu machen ist verbreitet. Und irgendwie würde spontan auch fast jeder Christ der Feststellung zustimmen, dass Jesus wichtiger ist als Mose oder Paulus.
Der Selbstanspruch der Bibel
Und doch ist das nach dem Selbstanspruch der Bibel und ihrer Autoren nicht ganz so einfach. Zum einen gibt es im Alten Testament zahlreiche wörtliche Zitate des Redens Gottes, z.B. „Aber Gott sprach zu Abraham: […]“ (1.Mose 21,12) oder „So spricht der Herr der Heerscharen, der Gott Israels: […]“ (Jeremia 44,25). Also werden auch hier wörtliche Aussagen Gottes wiedergegeben, ganz wie in den Evangelien, wenn Jesus zu den Menschen spricht.
Der Anspruch der Autoren
Zum anderen nehmen die Autoren des Neuen Testaments für sich in Anspruch, ganz dasselbe zu sagen wie Jesus Christus und nicht etwa ihre eigenen Meinungen und Interpretationen. Sie wollen die Aussagen Jesu lediglich erklären und auf die neuen Fragen der Gemeinde anwenden. „Aber selbst wenn wir oder ein Engel vom Himmel euch etwas anderes als Evangelium verkündigen würden als das, was wir euch verkündigt haben, der sei verflucht! Wie wir es zuvor gesagt haben, so sage ich auch jetzt wiederum: Wenn jemand euch etwas anderes als Evangelium verkündigt als das, welches ihr empfangen habt, der sei verflucht! Rede ich denn jetzt Menschen oder Gott zuliebe? Oder suche ich Menschen zu gefallen? Wenn ich allerdings den Menschen noch gefällig wäre, so wäre ich nicht ein Knecht des Christus. Ich lasse euch aber wissen, Brüder, dass das von mir verkündigte Evangelium nicht von Menschen stammt; ich habe es auch nicht von einem Menschen empfangen noch erlernt, sondern durch eine Offenbarung Jesu Christi.“ (Galater 1,8-12)
Außerdem weisen die Schreiber der neutestamentlichen Bücher deutlich darauf hin, dass sie nicht ihre eigenen Gedanken zusammengefasst haben, sondern dass sie weitergeben, was Gott ihnen auf übernatürliche Art und Weise eingegeben hat. Demnach ist auch das was Paulus oder Jakobus aufgeschrieben haben unmittelbare Mitteilung Gottes, auf derselben Stufe wie die Aussagen von Jesus Christus selbst: „Alle Schrift ist von Gott eingegeben und nützlich zur Belehrung, zur Überführung, zur Zurechtweisung, zur Erziehung in der Gerechtigkeit […]“ (2.Timotheus 3,16)
Gibt es einen Unterschied?
Paulus beteuert mehrfach ganz im Sinne Jesu zu schreiben: „Ich sage die Wahrheit in Christus, ich lüge nicht, wie mir mein Gewissen bezeugt im Heiligen Geist.“ (Römer 9,1) Er macht auch deutlich, dass seine Lehren im Einklang mit Gottes Offenbarungen im Alten Testament stehen: „Wie geschrieben steht: »Es ist keiner gerecht, auch nicht einer; […]“ (Römer 3,10)
Auch Jesus selbst warnt davor, Unterschiede zwischen den verschiedenen Mitteilungen Gottes zu machen: „Ihr sollt nicht meinen, dass ich gekommen sei, um das Gesetz oder die Propheten aufzulösen. Ich bin nicht gekommen, um aufzulösen, sondern um zu erfüllen! Denn wahrlich, ich sage euch: Bis Himmel und Erde vergangen sind, wird nicht ein Buchstabe noch ein einziges Strichlein vom Gesetz vergehen, bis alles geschehen ist. Wer nun eines von diesen kleinsten Geboten auflöst und die Leute so lehrt, der wird der Kleinste genannt werden im Reich der Himmel; wer sie aber tut und lehrt, der wird groß genannt werden im Reich der Himmel.“ (Matthäus 5,17-19)
Göttliche Anweisungen für die Gemeinde
Manchmal haben die Aussagen von Paulus für den Christen im 21. Jahrhundert sogar eine größere Relevanz als die Worte Jesu, die teilweise eben eher an Juden seiner Zeit gerichtet waren und nicht an die neutestamentliche Gemeinde. Jesus Christus hielt all die Gebote des Alten Testaments (Beschneidung, Wallfahrtsfeste, Kleider und Speisegebote – soweit sie nicht von den Pharisäern stammten) und nahm auch Bezug darauf. Immer wieder diskutiert er mit den jüdischen Gelehrten seiner Zeit über die richtige Auslegung und Anwendung der Gebote Gottes in Israel (z.B. Matthäus 12,2ff.; 15,1ff.). Paulus hingegen gibt fast ausschließlich göttliche Anweisungen für christliche Gemeinden, damals und heute.
Gottes Aussagen gelten
Gottes Aussagen gelten, ganz gleich ob sie von Mose, Jesus oder Paulus stammen. „Auf ewig, o Herr, steht dein Wort fest in den Himmeln; deine Treue währt von Geschlecht zu Geschlecht! Du hast die Erde gegründet, und sie steht; nach deinen Bestimmungen stehen sie noch heute; denn alles muss dir dienen! Wäre dein Gesetz nicht meine Freude gewesen, so wäre ich vergangen in meinem Elend. Ich will deine Befehle auf ewig nicht vergessen; denn durch sie hast du mich belebt“ (Psalm 119,89-93)
Die Relevanz der verschiedenen biblischen Aussagen für den heute lebenden Christen ist natürlich unterschiedlich, auch wenn alle gleichermaßen von Gott stammen. Anweisungen für den Bau und Betrieb der Stiftshütte beispielsweise berühren ihn weniger, weil Christen gegenwärtig eben nichts mehr mit den dort vorgeschriebenen Opfern zu tun haben. Aussagen zu den Aufgaben der Ältesten oder der optimalen Familienordnung – wie sie in den Briefen des Paulus stehen – sind hingegen von großer Relevanz, weil sie sich direkt an neutestamentliche Christen wenden.
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Dazu die Pressemeldung von idea: HIER
Matthias meint
Das ist auch mein Standpunkt, aber trotzdem Fragen die sich mir dazu gestellt haben: Wenn Paulus und Jesus sich zu ihrem Zeitpunkt auf die eingegebene Schrift bezogen haben, dann kann dies rein geschichtlich doch eigentlich nur für das AT gelten, denn das NT war da noch nicht vorhanden. Ausserdem: Wie wissen wir, dass die Kanonisierung des NT, die erst im 4. Jahrhundert in ihrer Auswahl stattfand, geistlich inspiriert war? Vielen Dank
Thomas Schneider meint
Antwort von Michael Kotsch:
Rein historisch gesehen beziehen sich Jesus und Paulus auf alle biblischen Schriften, die vor ihrer Aussage gemacht wurden. Bei Jesus träfe das auf das Alte Testament zu, bei Paulus auch auf die bis dahin verfassten Schriften des Neuen Testaments. Da ich aber davon ausgehe, dass beide unter Leitung des Heiligen Geistes redeten, könnten sie sich auch die biblischen Bücher beziehen, die nach ihrer Aussage abgefasst wurden – sozusagen in einem prophetischen Blick.
Viele Forscher gehen momentan davon aus, dass die Zusammenstellung des Neuen Testaments bereits im zweiten Jahrhundert unter den Herausforderungen durch zahlreiche sektiererische Tendenzen stattfand. Insbesondere gnostische Schriften und der judenfeindliche Kanon des Markion forderten damals die Gemeinde heraus. Der in Rom gefundene, aus dem 2.Jahrhundert stammende Kanon Muratori bestätigt diese These. Am Ende des 2.Jahrhunderts war man sich in den meisten christlichen Gemeinden weitgehend einig über die Zusammenstellung des Neuen Testaments, nur über den Hebräerbrief, aufgrund seiner Unklarheiten bezüglich des Autors, und über die Offenbarung, wegen ihres einzigartigen Inhalts, wurde noch lange diskutiert. In den Konzilsbeschlüssen des 4.Jahrhunderts wurde nur noch einmal bestätigt, was bereits lange vorher feststand. Hier gab es keine erstmalige oder vollkommen neue Entscheidung.