von Alexander Seibel
Unter dem Titel „Heiliger Geist – der unterschätzte Gott“ verfasste Carlos Schmidt das Editorial auf Seite 3 der ideaSpektrum-Ausgabe Nr. 21/2023. Er ist Gründer der missionarischen Initiative Lighthouse Haiger e.V. Sein Wunsch ist es, in Haiger und Umgebung den Heiligen Geist wieder zu betonen und durch Einladung von Charismatikern diese Themen anzukurbeln.
Wie so oft in unseren Tagen, folgt auf eine richtige Diagnose – man sehnt sich nach mehr Wirken Gottes – eine falsche Therapie. Dieser Beitrag enthält einige typischen neo-pfingstlichen Irrlehren. Carlos Schmidt vertritt die Rhema-Lehre, die ihre Wurzel in der Wort-des-Glaubens-Bewegung hat, auch Rhema-Bewegung genannt: „Die Bibel – das geschriebene Wort Gottes („logos“) – ist dabei immer unsere Grundlage. Aber Gott spricht auch heute noch persönlich durch sein gesprochenes Wort („rhema“) zu uns“ (S. 3).
Im The Berean Call heißt es zu dieser Überzeugung: „Der grundlegende Irrtum der Bewegung ist die Sichtweise, wie man eine Botschaft von Gott erhält. Die meisten, wenn nicht alle Führer billigen die Lehre, die griechischen Begriffe Rhema und Logos, die man in der Bibel findet, beschrieben verschiedene Wege, um von Gott zu hören. Dies war eine grundlegende Lehre unter historischen, religiösen Bewegungen wie die Spätregenbewegung, die Manifest Sons of God und die Wohlstand und Heilung unterstützenden Word/Faith Lehrer. Sie folgern, Logos beziehe sich auf das geschriebene und Rhema auf das gesprochene Wort. Obgleich die Bibel die Begriffe abwechselnd verwendet und keinen Unterschied macht, erhöht diese falsche Lehre in der Praxis das, was Gott (angeblich) zu ihnen gesprochen hat, auf dasselbe Niveau wie das, was in der Schrift steht, oder gar höher“ (TBC,März 2013).
Das ist typisch für den Schwärmer, der außerhalb der Bibel das angebliche „Reden Gottes“ vernimmt. Solche Eingebungen von Träumen, Bildern, eindrücklichen Gedanken, Visionen, spürbaren Manifestationen usw. sind das Proprium der New-Age-Bewegung. Insider nennen nicht zufällig die charismatische Bewegung die „weiße Schwester“ der Esoterik. Das soll nicht heißen, dass Gott sich nicht in bestimmten Fällen besonders manifestieren oder offenbaren könne; doch es ist das Außergewöhnliche, nicht etwas, das man einüben oder verallgemeinern kann. Aber, wie bereits angedeutet, es passt nahtlos in die Erfahrungen der Esoteriker und in unsere gegenwärtige Zeit okkulter Erweckung.
Ernst Buddeberg, vorgetragen auf der Gnadauer Konferenz 1910, hat diese Tendenz des „direkten Redens“ sehr gut auf den Punkt gebracht: „Gott will durch sein offenbartes Wort mit uns verkehren. – Die Schwärmerei will darüber hinaus ‚inneres‘ Wort Gottes haben und richtet ein neues Prophetentum mit autoritativer Gewalt auf. Gott will durch seinen Sohn mit uns verkehren. – Die Schwärmerei löst den Geist von der Person Christi. … Die Schwärmerei will nur unmittelbar vom Geist geleitet werden (Zitiert bei Paul Fleisch: „Die Pfingstbewegung in Deutschland“, Feesche Verlag Hannover 1957, S. 170).
Für die Reformatoren war diese Trennung von Geist und Wort Gottes undenkbar. So konstatierte Luther: „Der Geist kann nirgends gegenwärtiger und lebendiger gefunden werden als in seinen eigenen heiligen Schriften, die er geschrieben hat“ (Theo Lehmann, Von wegen toter Buchstabe!).
Typisch ist auch, dass Carlos Schmidt nur Römer 8,11 im Zusammenhang mit der Auferweckung Jesu zitiert. Dabei ist die Auferweckung unseres Herrn trinitarisch, Gott hat Christus auferweckt 1. Korinther 6,14; der Herr hat sich auferweckt (Johannes 10,18).
Dann wird Mut gemacht, geistliche Impulse bzw. verborgene Geheimnisse zu empfangen, „die uns der Geist Gottes in Form von prophetischen Worten oder einem Wort der Erkenntnis offenbart,…“
Vielleicht sollte man in diesem Zusammenhang erwähnen, dass idea unter „Schätze des Glaubens“ Watchman Nee zitierte. Wörtlich heißt es dort, wie der Gabendienst „ein Dienst vom Kindergarten-Typus ist, der dazu die Tendenz hat, aufzublähen… Eine Gemeinde, die sich durch Gaben aufzubauen versucht, wird stets als fleischliche Gemeinde enden, weil dies nicht Gottes Weg für den Aufbau einer Gemeinde ist, ausgenommen im Kindheitsstadium“ (idea spektrum 1/2001, S. 19).
Tragisch verkehrt ist auch der letzte Satz des Editorials von Carlos Schmidt: „Es braucht eine Hinwendung zur Person des Heiligen Geistes in Deutschland.“
Wie soll das geschehen? Indem man um den Geist bittet, werden einige mit Berufung auf Lukas 11,13 sagen. Doch Gott gibt den Geist bekanntlich denen, die ihm gehorchen (Apostelgeschichte 5,32). Und das Wort „darum“ (die ihn darum bitten) steht gerade nicht in dieser Empfehlung von Lukas 11,13. Vielmehr die bekannte Beobachtung: Menschen, die viel Zeit im Gebet und Fürbitte verbringen, werden mehr und mehr vom Geist Gottes erfasst und erfüllt. Man empfängt ja den Heiligen Geist gemäß Lehre des Neuen Testaments durch den Glauben an Jesus Christus (Epheser 1,13) und nichts anderes (Galater 3,2). Das aber bedeutet gewöhnlich Umkehr und Herrschaftswechsel. Alle echten Erweckungen waren Bußbewegungen, Rückkehr zu Gott, zu seinen Geboten und vor allem zu seinem Wort. Man denke an die sieben Sendschreiben. Keine Gemeinde erhält den Vorwurf, zu wenig die Charismen zu praktizieren, doch achtmal heißt es: Tue Buße.
Mit solchen Aussagen öffnet Carlos Schmidt – natürlich ungewollt – die Gläubigen für die großen Zeichen und Wunder, die am Ende der Tage gemäß Matthäus 24,11+24 und 2.Thessalonicher 2,9-11 u.a. um sich greifen und tatsächlich kommen werden bzw. sich schon längst ausbreiten.
Bekanntlich ist der wahre Gradmesser geistlicher Kraft auf moralisch-ethischem Gebiet. Ein Volk, das sich von Gott abwendet, verachtet und bekämpft schließlich die Gebote Gottes, vor allem auf sexuellem Gebiet. Wir sind nun bedauerlicherweise moralisch mehr als bankrott – es erfüllt sich leider Matthäus 24,12 – und für diese Zeit sagt unser Herr die falschen Propheten voraus (Vers 11), die sehr erfolgreich sein werden. Hätten wir den Bruchteil einer Erweckung, Gender- und Schwulenbewegung hätten keine Chance, Abtreibung wäre geächtet usw. Doch inmitten dieses moralischen Niedergangs haben wir interessanterweise, eigentlich bezeichnenderweise, eine stetige Zuname von Propheten, prophetische Gebete, Worte der Weissagung und Erkenntnis usw. Vor einer Generation war dies in der evangelikalen Welt kaum bekannt. Man wird an Spurgeon erinnert: „Die Theologie hat nichts Neues zu bringen, mit Ausnahme dessen, was falsch ist.“
Carlos Schmidt und auch Friedhelm Holthuis (Seite 14) und zahllose andere sind eine Erfüllung von einer mehr als hundert Jahre alten Feststellung. In Bezug auf 1. Timotheus 4,1 warnten in ihrem Klassiker „Kampf nicht wider Fleisch und Blut“ am Beginn des vorigen Jahrhunderts wegen der damals einbrechenden Pfingstbewegung Jessie Penn-Lewis und Evan Roberts davor, dass vor der Wiederkunft Jesu der Feind Gottes Legionen verführerischer Geister losschicken würde, um all die zu verführen, die für übernatürliche Eingebungen empfänglich sind: „Wie viele lassen sich z.B. beim Beten in passives, apathisches ‚Warten auf Gott’ hineinsinken oder bringen ihren Geist absichtlich zum Schweigen, um ‚Eindrücke von oben’ zu empfangen, die sie für göttliche Offenbarungen halten“ (Jessie Penn-Lewis „Der bedrohte Christ“, Exodus, S. 141-142).
Praktisch identische Anleitungen für solche Trance-Techniken empfiehlt auch der angebliche Wunder- und Heilungsprediger Reinhard Hirtler. Ein Videobeitrag zeigt seine beschwörenden Formulierungen, um „Jesus“ an einem Strand zu begegnen und mit ihm zu verschmelzen.
Wenn dies so deutlich gesagt wird, soll aber auch erwähnt werden, dass es nicht unser Auftrag bzw. meine Aufgabe ist, solche Leute – eigentlich Geschwister – zu richten. Nur Gott kennt die wahren Motive und ich werde nicht vergessen, wie George Verwer sagte: „Brennende Christen sind mehr gefährdet als geistliche.“ Es sind oft genug unsere Besten, die sich nach mehr Realität und Wirken Gottes sehnen und dann besonders anfällig sind für solche Strömungen.
Allerdings ist uns mehrfach aufgetragen, die Geister zu prüfen (1. Johannes 4,1; Offenbarung 2,2) und sogar befohlen, alles zu prüfen (1. Thessalonicher 5,21). Es ist anzunehmen, dass gegenwärtig fast alle Gläubigen davon überzeugt sind, in den letzten Tagen vor dem 2. Kommen Christi zu leben. Nun hat Jesus aber seine Wiederkunftsreden ausnahmslos mit Verführung eingeleitet und zu einem Schwerpunktthema gemacht. Wer es also unterlässt, in dieser Zeit wachsam zu sein (Markus 13,33-37) und alles zu prüfen, setzt sich besonderen Gefahren aus. Watchman Nee gab zu bedenken: „Ein Erlebnis in Frage zu stellen ist der erste Schritt der Befreiung und nicht ein zweifeln an Gott, sondern an sich selbst“ (Lukas 11,35). Ich weiß aus eigener Erfahrung, welch berauschend schöne Erlebnisse, Freudigkeit usw. man durch „Geisteswirkungen“ erfahren kann und wie schmerzhaft es dann ist, zu erkennen, dass man betrogen worden ist.
Es soll nicht in Frage gestellt werden, dass der Heilige Geist Gott ist. Doch das Verhältnis der Häufigkeit der Erwähnungen von Heiliger Geist und Jesus ist ca. 1:20. Im Neuen Testamant wird also unser Erlöser zwanzigmal häufiger genannt als der Geist Gottes. Nun, in manchen Kreisen hat man den Eindruck, dass sich diese Relation ziemlich verschoben hat. In Anbetracht der bekannten Tatsache, dass der Geist nicht von sich selber reden wird (Johannes 16,13-14), ergibt sich die berechtigte Frage, welcher Geist hier wirkt.
In derselben idea-Ausgabe bringt auch Friedhelm Holthuis als Präses des Bundes freikirchlicher Pfingstgemeinden einen Beitrag unter dem Titel „Warum gibt es Pfingsten?“ (Die Kleine Kanzel, Seite 14). Dort heißt es: „Jesus tat als ‚als Mensch‘ keine Wunder. Erst als der Heilige Geist auf ihn kam, konnte er etwas für die Menschen tun.“
Damit vertritt der Präses die Lehre der sogenannten Kenosis. Mit Berufung auf Philipper 2,5-7 hat sich Jesus tatsächlich entäußert. Wenn man jedoch behauptet, er war hier auf Erden nur Mensch und Jesus habe seine Göttlichkeit im Himmel zurückgelassen, wird diese theologische Deutung zur Häresie. Es ist eine Überzeugung, die man bei manch führendem Charismatiker und auch bei Rodney Howard-Browne, einer der Schlüsselfiguren des Toronto-Segens, findet. In seinem Buch „Und der Himmel bricht herein“ behauptet z.B. Bill Johnson – einer der einflussreichsten Irrlehrer unserer Tage – von Jesus: „Er legte seine Göttlichkeit ab (siehe Phil 2,5-7), da er die Aufgabe zu erfüllen suchte, die ihm der Vater übertragen hatte“ (Vaihingen/Enz: Grain-Press, 2007, S. 88). Man propagiert also eine völlig falsche Christologie.
Der „Trick“ hinter dieser Häresie: Wenn Jesus diese Wunder als Mensch selber nicht wirken konnte, sondern nur in der Kraft des Heiligen Geistes, wir aber denselben Heiligen Geist empfangen haben, dann können wir die gleichen Wunder und gemäß Johannes 14,12 sogar noch größere tun (obwohl dort das Wort Wunder nicht vorkommt, sondern Werke). Mit diesem „anderen“ Jesus hat man nun tatsächlich eine rote Linie überschritten. Hier sollte man nicht mehr vornehm schweigen. Dankenswerterweise hat in einem Leserbrief der ideaSpektrum-Ausgabe Nr. 22/2023 Pfarrer Harald Karpe auf diesen schwerwiegenden Irrtum hingewiesen.
Mit diesem falschen Jesus nun und fremden Geist (2. Korinther 11,4) – beide werden immer populärer -, produziert man nun Zeichen, Heilungen und Wunder in zunehmenden Maße und eilt von einer Prophetie zur nächsten besonderen Gottesoffenbarung. Eine wirksame „Energie“ der Verführung greift um sich (2. Thessalonicher 2,11).
„Träume sind Gottes Sprache“ schreibt Präses Holthuis (S. 14). In praktisch allen esoterischen Zeitschriften werden Träume als die Sprache des Unterbewussten empfohlen. New-Ager sehen in ihren Träumen die Weisungen ihres göttlichen Funkens oder wahren Selbst. Statt also Wachet und betet, wie der Herr ermahnt, heißt es nun eher „schlaft und träumt“. Damit soll nicht gesagt werden, dass Gott in besonderen Fällen nicht auch in unseren Tagen durch einen Traum reden oder warnen kann; doch das ist eher die Ausnahme und eben nicht „Träume sind Gottes Sprache“. Das erinnert eher an Jeremia 23,32 bzw. Klagelieder 2,14.
Dazu noch ein Lutherzitat: „Diejenigen, welche Offenbarungen und Träume im Munde führen und suchen, sind Gottesverächter, da sie mit seinem Wort nicht zufrieden sind. Ich erwarte in geistlichen Dingen weder eine Offenbarung noch Träume; ich habe das klare Wort; deshalb mahnt Paulus {Galater 1,8), man solle sich daranhangen, auch wenn ein Engel vom Himmel anders lehrte“ (Tischreden 5, 6211, Fausel Bd II, 5. 195).
Betont sollte auch werden, dass nicht alles falsch ist, was diese Autoren aufzeigen. In manchen Teilen halten sie uns einen berechtigten Spiegel vor. Dennoch nannte Dr. Rolf Hille noch in idea 36/2009 die charismatische Bewegung „die tragischste Bewegung in der Geschichte der Kirche“.
Abschließend ein Zitat von Gerhard Maier in Bezug auf Jesu Endzeitwarnung (Matthäus 24): “Es fällt auf, dass Jesus die Warnung vor den Verführern an die Spitze stellt. Verführung ist für die Gemeinde gefährlicher als Verfolgung. Verfolgung eint die Gemeinde, Verführung spaltet sie. Verfolgung lässt das Echte hervortreten, Verführung das Unechte triumphieren… Von daher versteht man, wie notwendig der Kampf gegen die Irrlehre ist.“
Wir leben leider in einer Zeit, wo buchstäblich das Falsche, Verrückte, Perverse und Widergöttliche triumphiert. Bekanntlich beginnt das Gericht am Hause Gottes (1. Petrus 4,17). Möge unser gnädiger Erlöser „im Zorne an Barmherzigkeit denken“ (Habakuk 3,2).
Michael Fasse meint
Da ich idea spektrum nach 40 Jahren Abo gekündigt hatte, war mir der Anlass für Herrn Seibels Stellungnahme leider entgangen. Aber ich bereue die Kündigung nicht, weil idea seit dem Ausscheiden von Helmut Matthies geistlich schwer abgebaut hat. Immer öfter musste ich Beiträge lesen, wo ich mich fragte, ob deren biblischer Kompass noch funktioniert.
Danke, lieber Alexander Seibel, dass Sie immer noch Ihre mahnende und korrigierende Stimme erheben und uns dabei mit viel Hintergrundwissen versorgen. Je mehr die endzeitliche Verwirrung im Hause Gottes fortschreitet, umso wichtiger ist Ihr Dienst. Möge der Herr Sie noch lange dahingehend gebrauchen und reich segnen!