
von Thomas Schneider
Die pluralistische Religionstheorie lehrt, daß die verschiedenen Glaubensrichtungen gleichermaßen wahr wären. Danach seien sie zwar äußerlich verschieden, hätten aber prinzipiell gleichberechtigte Zugangswege zur letzten göttlichen oder transzendenten Wirklichkeit. Am Ende sei es egal, über welchen Weg man auf den Berg gestiegen sei, auf dem Gipfel träfen sich alle Wege.
Doch welcher gläubige Moslem würde zustimmen, daß er – wie ein Buddhist glaubt – sich einst im Nirvana (im Nichts) auflösen wird? Welcher gläubige Hindu würde zustimmen, daß er sein Leben nach dem Willen der islamischen Gottheit Allah ausrichten soll? Welcher gläubige Christ würde beipflichten, daß Gott – wie es der Moslem glaubt – niemals in die Nähe von Menschen gekommen ist und daß Jesus Christus nur einer von vielen Propheten war, niemals am Kreuz gestorben und schon gar nicht von den Toten auferstanden? – Was ist Wahrheit?
Der Religionswissenschaftler Prof. Perry Schmidt-Leukel ist der Ansicht: Immer mehr Menschen lassen sich von mehreren Religionen inspirieren. Wissenschaftlich gut belegt seien sogenannte „buddhistische Christen“. Für manche evangelische Christen seien – so dieser Wissenschaftler – auch die Schriften des buddhistischen Religionsführers Dalai Lama eine spirituelle Quelle. Diese multireligiösen Menschen, für die durchaus Jesus Christus als Religionsfigur eine Rolle spielt, suchten letztlich Gott in sich selbst.
Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) veröffentlichte im Jahr 2014 einen „Grundlagentext“ mit dem Titel „Rechtfertigung und Freiheit – 500 Jahre Reformation 2017“. In diesem Papier heißt es auf Seite 84: „Seit dem siebzehnten Jahrhundert werden die biblischen Texte historisch-kritisch erforscht. Deshalb können sie nicht mehr so wie zur Zeit der Reformatoren als »Wort Gottes« verstanden werden. Die Reformatoren waren ja grundsätzlich davon ausgegangen, daß die biblischen Texte wirklich von Gott selbst gegeben waren. Angesichts von unterschiedlichen Versionen eines Textabschnitts oder der Entdeckung verschiedener Textschichten läßt sich diese Vorstellung so nicht mehr halten. Damit aber ergibt sich die Frage, ob, wie und warum sola scriptura (allein die Schrift) auch heute gelten kann.“
Glaubt man diesem Papier, so darf die Bibel auf Geheiß der EKD nicht mehr als »Wort Gottes« in der Weise verstanden werden, daß Gott selbst sein Wort den Menschen gegeben hat und damit Wahrheit ist. Damit nähert sich die EKD der von den meisten Philosophen unterstützten These, daß Wahrheit aus der Übereinstimmung von Sache und Verstand besteht und daß es letztlich keine absolute Wahrheit gibt. Die gottlose Herangehensweise der EKD an die Wahrheit der Bibel hat sich bis heute nicht gändert, ja sogar noch verschärft.
Theologieprofessoren, wie Klaus-Peter Jörns aus Berg (am Starnberger See) kritisieren, daß die Bindung daran, daß die Bibel das von Gott inspirierte Wort Gottes und damit Wahrheit ist, unmündig mache. In seinem 2012 veröffentlichten Buch „Update für den Glauben“ schreibt er: „Die unmündig machende Schriftbindung ist der eigentliche Krebsschaden, an dem die Kirchen leiden.“
Der Bischof der Hannoverschen Landeskirche, Ralf Meister, erklärte im Rahmen eines Vortrages bei der Arbeitsgemeinschaft Missionarische Dienste (AMD): „Die Bibel ist nicht einfach Autorität, weil es konventionell so ist oder weil sie einfach Gottes Wort ‚enthält‘. Hier haben die modernen Säkularisierungsprozesse zu einer grundsätzlichen Infragestellung nicht nur der biblischen Autorität geführt. Autorität muß heute notwendigerweise eine sich legitimierende Autorität sein. In diesem Sinne kann die Bibel nur noch dann als Autorität anerkannt werden, wenn sie in der individuellen Lebensführung als hilfreich, sinn- und lebenserschließend erfahren wird […] Dazu – so paradox es klingt – muß ich zuerst damit ernst machen, daß die Bibel ein ganz normales Stück Literatur ist.“
Im Augsburgischen Bekenntnis, das zu den grundlegenden Bekenntnisschriften der lutherischen Kirchen gehört, steht im Artikel 28: „Man soll auch den Bischöfen, so ordentlich gewählet, nicht folgen, wo sie irren oder etwas wider die heilige göttliche Schrift lehren und ordnen.“ Wer die zeitlose Relevanz, die ewige Gültigkeit des Wortes Gottes bestreitet, entzieht ihm zugleich auch seinen Wahrheitsanspruch. Wenn Kirche sich so artikuliert, stellt sie – auf dem Boden der Wissenschaft, nach der sie ja auch Gottes Wort bewertet und beurteilt – die Existenz Gottes selbst in Frage.
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