
von Thomas Schneider
Der Volkstrauertag wurde 1919 als deutscher Gedenktag um die gefallenen Soldaten des Ersten Weltkrieges eingeführt. Seit 1990 wird an diesem Tag an alle Menschen erinnert, die durch Krieg, Terror, politische Verfolgung und Gewaltherrschaft zu Tode kamen.
Für die Bundestagspräsidentin Julia Klöckner sei der Volkstrauertag, so sagte sie heute, „eine laute Mahnung an uns im Heute, in einer Zeit wachsender historischer Distanz zu den Schrecken der beiden Weltkriege und gleichzeitiger Kriegsrealität – und leider auch gewisser Kriegsnormalität in Europa“.
Wer schon von „wachsender historischer Distanz zu den Schrecken der beiden Weltkriege“ spricht, vergißt erstens: Die Geschichte um die beiden Weltkriege ist bis heute nicht wahrheitsgetreu aufgearbeitet. In den Geschichtsbüchern für Bildung stand und steht nur das, was der jeweils herrschenden Politik und ihrer Ideologie genehm war und ist. Und zweitens: Das deutsche Volk samt nachfolgender Generationen wurde mit einem Schuldkult belastet, der bis heute für den Machterhalt mißbraucht wird. Zu beiden Punkten ist enormer Aufarbeitungsbedarf anzumahnen.
Wenn Klöckner dann in einem Atemzug von „gleichzeitiger Kriegsrealität“ spricht, dann meint sie wohl vornehmlich den Krieg zwischen Rußland und der Ukraine. Doch da stehen öffentlich unbeantwortete Fragen: Wer hat denn die Wahrheit zum jahrzehntelangen geheimen Gerangel in Bezug einer ersehnten NATO-Osterweiterung unter dem Teppich gehalten? Wer hatte in Europa in den zurückliegenden Jahrzehnten die politische Führungsgewalt? Wer hat es zugelassen, daß es – wie Klöckner es betont – zu einer „gewissen Kriegsnormalität in Europa“ gekommen ist?
Wer ehrlichen Herzens Frieden in der Welt will, der muß in seiner Position dafür Sorge tragen, daß auch Frieden bewahrt und Krieg verhindert wird. Klöckner hätte in ihrer Rede die Kriegstreiberei gegen Rußland verurteilen müssen, wie sie aus Kreisen der NATO, der Bundesregierung und ihrer Berater unentwegt zu vernehmen ist. Deshalb ist es reine Heuchelei, sich einerseits am Volkstrauertag für Frieden und Demokratie zu äußern und andererseits statt diplomatischer Entspannung kriegerisch aufrüsten zu lassen.
Die zur Regierungspartei CDU gehörende Klöckner hat in ihrem Amt als Bundestagspräsidentin die Chance vertan, statt zum Krieg zur Versöhnung zwischen Nationen und Völkern aufzurufen. Damit hätte sie das „C“ nach Jahrzehnten endlich wieder aufgewertet und Gott zum Wohlgefallen gehandelt. So aber läßt sie sich von denen, die in Deutschland und Europa zum Krieg rüsten, vereinnahmen und als Werkzeug des Teufels gebrauchen.
Die Bibel erinnert daran, daß das menschliche Leben zerbrechlich ist: „Der Mensch, dessen Tage wie Gras sind…“ (Psalm 103,15–16). Der Volkstrauertag macht diese Wahrheit sichtbar. Wenn wir an die Opfer von Krieg und Gewalt denken, erkennen wir die Zerbrechlichkeit des Menschen und die Notwendigkeit, unser Vertrauen auf Gott zu setzen.
Kriege, Gewaltherrschaft und Terror sind Auswirkungen der gefallenen, sündigen Welt. „Woher kommen Kriege und Streitigkeiten unter euch? … aus euren Begierden?“ (Jakobus 4,1). Der Volkstrauertag ruft uns dazu auf, die Realität der Sünde ernst zu nehmen und zu erkennen, wie weit sich der Mensch von Gottes Wegen entfernt hat – mit zerstörerischen Folgen. So trauern Christen nicht ohne Hoffnung (1. Thessalonicher 4,13).
