
von Martin Luther
Magister Jobst1 (Gast an Luthers Tische) zeigte Luther die Sätze Agricolas2, das Gesetz brauche in der Kirche nicht gepredigt zu werden, weil es nicht zur Rechtfertigung diene. Da sagte Luther tief erregt:
„Das will schon zu unsern Lebzeiten bei unsern eigenen Leuten anfangen! Es ist Agricolas Meinung, der von Haß und Ehrsucht umgetrieben wird … Dahinter steckt ein Müntzer3!
Denn wer die Lehre vom Gesetz in politischer Beziehung aufhebt, der hebt die Obrigkeit und den Hausstand auf; wenn er sie in kirchlicher Beziehung aufhebt, dann gibt es keine Erkenntnis der Sünde mehr.
Denn das Evangelium straft die Sünde nur durch Vermittlung des Gesetzes, welches geistlich ist, welches die Sünde feststellt als gegen Gottes Willen.
Fort mit dem, der behauptet, die Übertreter sündigen nicht wider das Gesetz, sondern beleidigen Gottes Sohn!
Solche spekulativen Theologen sind Pestbeulen der Kirche; ohne Gewissen, ohne Erkenntnis [der Sache], ohne Unterscheidung der Begriffe werfen sie alle Lehre durcheinander [und sprechen] wie diese: Die Liebe ist des Gesetzes Erfüllung, also haben wir kein Gesetz [nötig].
Aber diese Unglückseligen übersehen den Untersatz [die zweite Voraussetzung]: Daß diese Erfüllung (nämlich die Liebe) schwach ist in unserm Fleisch, und daß wir täglich durch den Geist gegen dieses [Fleisch] kämpfen müssen; und das gehört unter das Gesetz.“
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Aus TR 3,3554 (März 1537)
1 Wohl Mag. Jodokus Neuheller
2 Johannes Agricola (* 1499; † 1566), deutscher Reformator und enger Vertrauter Martin Luthers, 1540 haben sich Agricola und Luther aufgrund gegensätzlicher Lehrmeinungen getrennt.
3 Thomas Müntzer (* 1489; † 1525), Theologe, Reformator und Revolutionär in der Zeit des Bauernkrieges.
