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Die „Kreuzträger“ und ihr „Aufruf zu einer evangelischen Rückgewinnung“

Foto: AG WELT

von Thomas Schneider

Vor ein paar Tagen veröffentlichte das Gemeindenetzwerk, ein Arbeitsbereich des Gemeindehilfsbundes, einen „Aufruf zu einer evangelischen Rückgewinnung“ mit einer Online-Petition zu „95 Thesen an die evangelischen Landeskirchen in Europa“.

Initiator ist eine Organisation mit dem Namen „Crossbearers“ („Kreuzträger“). Sie nimmt Bezug auf die Bibelstelle in Matthäus 16,24: „Da sprach Jesus zu seinen Jüngern: Will mir jemand nachfolgen, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir.“

Nach eigenen Angaben nehmen die Kreuzträger „die symbolische Mission an, das Kreuz Christi zu tragen“ und betonen: „Wir möchten Christus nachfolgen, nicht der Welt“. Ihr Ziel sei es, „das Christentum innerhalb der protestantischen Tradition zu stärken, die Identität, die Basis in der Heiligen Schrift und die Gemeinschaft in europäischen Kirchen zu fördern“. Sie wollen „verwurzelt in der historischen Christenheit gegen säkulare Einflüsse und die Verwässerung grundlegender Werte“ eintreten, „Gemeinden stärken und das Erbe des Protestantismus in Europa bewahren“.

Diese „Kreuzträger-Bewegung“ besteht aus Einzelpersonen verschiedener evangelischer Kirchen (lutherisch, reformiert, anglikanisch) in Europa. Sie habe erkannt, „dass viele nationale Kirchen von politischem und theologischem Liberalismus durchsetzt sind und dabei versagen, das wahre Evangelium unseres Herrn und Erlöser Jesus Christus in seiner Gänze zu verkündigen“.

Nun ist es sicher legitim, den Mut des Reformators Martin Luther nachzuahmen und „95 Thesen an die evangelischen Landeskirchen in Europa“ zu verfassen und zu verbreiten, um „gegen die aktuellen Missstände (in den Kirchen) zu protestieren“. Der Haken an der Sache ist: Man muss Mitglied einer evangelischen Landeskirche in Europa sein, um dem Unterzeichnungskomitee beitreten zu können – selbst dann, wenn alle 95 Thesen bei Christen ohne Kirchenmitgliedschaft uneingeschränkte Zustimmung fänden.

Kann es sein, dass gerade die geistlich ausgeprägte Vorherrschaft der institutionalisierten Kirchen Gott ein Dorn im Auge ist und ER deshalb diese Strukturen über kurz oder lang nicht mehr haben will? Jahrzehnte habe ich als engagiertes Mitglied der evangelischen Kirche darauf gewartet, dass die bibeltreuen Leiter von Kirchen und Gemeinden endlich eine Bekenntnissynode einberufen, um Spreu (Gotteslästerung) vom Weizen (Bibeltreue) zu trennen. Aber leider hingen und hängen bis heute wohl die meisten Leiter der evangelischen Kirchgemeinden am Mammon, wo doch Jesus ausdrücklich sagt: „Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon.“ (Matthäus 6,24)

Über Jahrzehnte war für gläubige Pfarrer, Pastoren und Evangelisten genügend Zeit, Flagge für Bibeltreue zu zeigen und über die Schatten von Angst, Wohllebigkeit und Neigung zur Weltliebe zu springen. Doch sie haben es zugelassen, dass sich immer mehr ihrer Schäflein in die Esoterik, in das „House of One“, in eine Religion verirrt oder dem Glauben an Jesus Christus gänzlich abgesagt haben.

Deshalb setze ich ein großes Fragezeichen, wenn der führende Petent dieser „95 Thesen…“ auf der Internetseite vom Gemeindenetzwerk zum „Aufruf zu einer evangelischen Rückgewinnung“ schreibt: „Möge es Agape sein, was uns treibt, als Evangelisten innerhalb der Landeskirchen zu bleiben, und möge es auch fern von uns sein, uns unserer Kirchenmitgliedschaft zu rühmen, sondern nur des Kreuzes Christi.“

Es bestünde – so Gott es will – nur dann eine Chance, durch diese Petition mit neuen 95 Thesen eine erweckliche „evangelische Rückgewinnung“ zeitgeistgesinnter geistlicher Führer zu erleben, wenn sich die Petenten selbst zum Ziel setzen, eine längst überfällige Bekenntnissynode einzuberufen und ihre meist hochdotierte Anstellung und Pensionsansprüche ‚aufs Spiel‘ zu setzen – als Kreuzträger für Christus. Dann gäbe es vielleicht auch eine Rückgewinnung von verloren gegangenen Schafen, die dann endlich einen Hirten hätten, der Gottes Wort so verkündigt und lebt, wie es dem König aller Könige zur großen Freude gereicht.

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