von Dr. Hans Alex Thomas
Der Schweizer Theologe Karl Barth (1886-1968) hat sich ausführlich mit dem Verhältnis von Männern und Frauen zueinander sowie deren Beziehung zu Gott beschäftigt. Er verzichtet entschlossen auf alle Phänomenologie und Typologie der Geschlechter und geht – „ohne Missachtung, sondern in voller Beachtung des hier Geleisteten“ – allein vom biblischen Befund aus. ¹ Nach Barth stehen Mann und Frau unter einer bestimmten göttlichen Ordnung.
„Wie die Stellung und Funktion des Mannes und die der Frau nicht zu vertauschen und zu vermischen, sondern auf beiden Seiten in Treue zu bewahren -und wie sie andererseits nicht zu trennen, nicht gegeneinander auszuspielen, sondern in ihrer gegenseitigen Bezogenheit zu verstehen und zu realisieren sind, so sind sie einander auch nicht einfach gleichzusetzen, ist ihr Verhältnis also auch nicht umzukehren. Sie stehen nämlich in einer Folge. In ihr hat der Mann seinen Ort und die Frau den ihrigen […] Mann und Frau sind nicht ein A und ein anderes A. […] Sondern Mann und Frau sind ein A und ein B, sind sich also nicht einfach gleichzusetzen. An innerer Würde und an innerem Recht, an Menschenwürde und Menschenrecht also, hat A vor B nicht das Geringste voraus, steht A dem B nicht im Geringsten nach.“ ²
Die Herstellung einer Gleichordnung der Frau mit dem Manne kann nach Barth
„bestimmt nur zu einem Zustand führen, in welchem ihre Stellung erst recht und zwar irreparabel beklagenswert werden müsste.“ ³
Es versteht sich, dass hier nicht „der Herrschaft der einen über die anderen“ (Barmen IV) das Wort geredet wird. In Auslegung von Epheser 5 schreibt Barth vielmehr:
„In der Nachbildung des Verhaltens Jesu Christi darf und soll ihr der Mann vorangehen, wie sie ihm in der Nachbildung des Verhaltens der Gemeinde und also in der Nachfolge. Wer von beiden wäre im Vollzug dieser Nachbildung nicht vor- und wer wäre da nicht auch nachgeordnet? Je besser man alles versteht, um so deutlicher wird man sehen, wie das Ganze tatsächlich von V. 21, von jener Mahnung zu gegenseitiger Unterordnung her beherrscht ist. Man könnte das aber offenbar nicht sehen, wenn man die konkrete Unterordnung der Frau dem Manne gegenüber, auf die es dem Text ankommt, übersehen oder auslöschen wollte.“ ⁴
„Nicht darum kann es ja gehen, dass dem auf sein Recht bedachten Manne gegenüber auch die Frau zu ihrem Recht komme, sondern darum geht es, dass der Mann die Ordnung und Folge, in der er der Erste ist, als solche und die ihm damit auferlegte Verpflichtung verstehe, dass in erster Linie gerade er, statt sich eigene Rechte anzumaßen, sich dem gemeinen Recht unterwerfe und Gehorsam leiste…Indem sie protestiert und rebelliert, hat aber auch die Frau, und wenn sie tausendmal im Recht wäre, die Ordnung unter der auch sie steht und in der allein sie zu ihrem Recht kommen kann, noch keineswegs bejaht und respektiert. Wer weiß, ob ihr Protestieren und Rebellieren nicht aus derselben Quelle der Missachtung der Ordnung kommt, mit der ihr der Mann so beschwerlich fällt.“ ⁵
Bei dieser bibelorientierten Sichtweise bleibt auch kein Raum für homosexuelle Verhaltensweisen. Barth sagt ganz scharf, Homosexualität sei
„diejenige – physische, psychische, soziale – Krankheit, die Erscheinung der Perversion, der Dekadenz, des Zerfalls, die da eintreten kann, wo der Mensch die Geltung des göttlichen Gebotes gerade in dem von uns hier im Besonderen ins Auge gefassten Sinn durchaus nicht wahrhaben will.“ ⁶
Mit all diesen Ansichten würde Barth heute bei den kirchenleitenden Gremien, gelinde gesagt, auf Ablehnung stoßen. Ja, es ist fraglich, ob er es – und das ist erschreckend – überhaupt noch zu einem Pfarramt bringen könnte. Stattdessen avancierte Simone de Beauvoir mit ihrem, trotz allem Bedenkenswerten im Detail „sehr heidnischen“ (nach K. Barth) Buch „Das zweite Geschlecht“ und ihrer These „On ne nait pas femme, on le devient“ („Man wird nicht als Frau geboren, man wird es.“) zu einer heimlichen Kirchen-Gevatterin. Bei den großen Friedensdemonstrationen 1983 im Hunsrück z.B. stellten sich Hunderttausende unwidersprochen hinter einen Aufruf der Organisatoren (bei denen die kirchennahe „Aktion Sühnezeichen“ eine maßgebliche Rolle spielte), in dem man sich nicht nur gegen die Nachrüstung, sondern auch gegen „Sexismus“ wandte – worunter die Veranstalter das Festhalten an den bisherigen Geschlechterrollen verstanden. Die kirchlichen Kindergärtnerinnen schickte man zur „Weiterbildung“, von der sie mit der Maßgabe wiederkamen, der „Rollenerwartung“ entgegenwirken zu müssen. Berechtigte Anliegen, wie das Heranführen der Jungen und Männer an die Mitarbeit im Haushalt und bei der Kinderbetreuung, wurden dabei immer wieder vermischt mit dem Bemühen, den Einheitsmenschen im de Beauvoirschen Sinne heranzuziehen.
Kirchen, Politik und postmoderne Beliebigkeit
Irgendwelche Drahtzieher hinter den Kulissen und recht fragwürdig zusammengesetzte Theologische Ausschüsse der Landeskirchen brachten tendenzielle Papiere und „Handreichungen“ in Umlauf, in denen sie sich mit ein paar hingeworfenen Bemerkungen ungerührt von jahrtausendealten jüdisch-christlichen Traditionen verabschiedeten – gewöhnlich ohne sich mit ernsthaften und gründlichen Einwänden auseinanderzusetzen oder sie wenigstens darzustellen, also unseriös und manipulatorisch. Die Mehrheit der eigenen Gemeinden, wie der anderen christlichen Kirchen, wurde dabei übergangen. Man scheute nicht einmal davor zurück, sich die höchst umstrittenen Thesen einiger Sexualwissenschaftler zu eigen zu machen und als wissenschaftliche Erkenntnis auszugeben, „weil man die Gemeinden auf eine vorgefasste Spur bringen wollte.“ ⁷
In der mit der Evangelischen Kirche im Rheinland kirchenamtlich verbundenen amerikanischen „United Church of Christ“ (UCC), wo es besonders häretisch zugeht, vertritt der einflussreiche, radikal feministische und homosexuelle Theologieprofessor James B. Nelson mit Erfolg die Lehre,
„androgynes (männliche und weibliche Merkmale vereinigend) und bisexuelles (mit beiden Geschlechtern verkehrend) Verhalten seien die besten Modelle für ‚Humanität‘, da sie die größte Chance böten, die Fülle sexuell-erotischer Möglichkeiten für Lust und Glück zu leben. Auch bisexuelles und promiskes (häufig wechselnder Geschlechtsverkehr) Verhalten, auch mit heranwachsenden Jugendlichen, müssten als Lust bereitende Verhaltensweisen in den Kirchen volle Anerkennung finden.“ ⁸
Hintergrund dieser ganzen Auffassungen ist das Streben nach menschlicher Autonomie. Abgelehnt werden alle Normen und biblischen Weisungen, die den persönlichen Empfindungen zuwiderlaufen. In
„postmoderner Beliebigkeit soll jeder „die seinen privaten Bedürfnissen am besten entsprechende Lebensform selbst wählen, konstituieren und auch wieder auflösen können. Lebensformen sind ins Ermessen und Belieben des Einzelnen gestellt und infolgedessen ‚gleichwertig‘ und auch auswechselbar und beliebig.“ ⁹
Zu welchen gottlosen und schöpfungsfeindlichen Exzessen solche autonomen und selbstherrlichen Bestrebungen führen können, lässt sich am Beispiel der amerikanischen Feministin Shulamith Firestone demonstrieren. In ihrem Buch „Frauenbefreiung und sexuelle Revolution“ schreibt sie (zwar extrem und radikal, aber doch eine Linie ausziehend und konsequent): Menstruation, Zeugung, Schwangerschaft und Geburt seien Geißeln der Frau. Alle technischen Möglichkeiten müssten daher genutzt werden, um die Frau davon zu befreien. Ebenso müsse Sexualität auch befreit werden von Ehe, Kind und Familie. Der Befruchtungsvorgang solle in einem Reagenzglas erfolgen und das Geschlecht durch technische Manipulation bestimmt werden. Wörtlich heißt es:
„Die Blutbande zwischen Mutter und Kind werden endlich zerrissen werden. Sollte tatsächlich eine männliche Eifersucht auf die Kreativität des Gebäraktes entstehen, so werden wir schon bald in der Lage sein, Leben unabhängig von einem Geschlecht zu erzeugen, so dass eine Schwangerschaft, die dann unverholen als plump, ineffizient und schmerzhaft bezeichnet werden kann, dann nur, wenn überhaupt, ironisierend als archaisch ertragen wird.“ ⁹
Das Endergebnis des autonomen Individualismus ist also nicht gemeinschaftliches Glück, sondern Vereinzelung und Asozialität. Auf diesem Weg ist man heute schon ein gutes Stück vorangekommen. Nicht von ungefähr wächst ja die sogenannte Single-Gesellschaft.
Spielt auch die Politik dabei eine Rolle? Der als „Prophet der nackten Tatsachen“ bekannte Soziologe Meinhard Miegel antwortet:
„Natürlich. Wenn eine Politik mit Wort und Tat alles unternimmt, um die Zerrüttung einer Gesellschaft zu beschleunigen, verdient sie wohl kaum das Prädikat ‚gute Politik‘. Warum fühlen sich heute so viele Väter und mitunter auch Mütter frei, ihre minderjährigen Kinder im Stich zu lassen? Doch nicht zuletzt deshalb, weil ihnen immer wieder gesagt worden ist, ihre Selbstverwirklichung habe unbedingten Vorrang. Die Scherben, die sie hinterließen, werde der Staat schon wegräumen. Auf die Frage, warum Menschen kinderlos sind, ist die am häufigsten gegebene Antwort: Ich kann mich auf meinen Partner nicht verlassen. Zu häufig können sich Mann und Frau nicht aufeinander, Kinder nicht auf ihre Eltern, Eltern nicht auf ihre Kinder verlassen. Die einstmals bestehende Pflicht von Großeltern, gegebenenfalls für ihre Enkel aufzukommen und ebenso umgekehrt, wurde von der Politik als „Sippenhaft“ diffamiert. Insofern spielt Politik schon eine Rolle.“
Miegel weiter:
„Wir leben in einer völlig durchmonetarisierten und -kommerzialisierten Gesellschaft. Da darf es nicht verwundern, wenn auch Kinder und Eltern in diesen Strudel geraten sind. Kinder werden gewissermaßen als finanzielle Schadensfälle angesehen, für die die Gesellschaft die Eltern zu entschädigen hat. Kinder, so heißt es, kosten ja nicht nur Geld. Oft beeinträchtigen sie auch die Einkommenschancen der Eltern. Diese Sichtweise wird von allen Parteien mehr oder minder geteilt. Christdemokraten und Sozialdemokraten unterscheiden sich in dieser Frage nur mäßig.“ ¹¹
Der wegen seiner christlichen Grundhaltung als EU-Kommissar abgelehnte italienische Kulturminister Rocco Buttiglione charakterisiert diese Hedonisten und Monetaristen folgendermaßen:
„Sie haben auf die Suche nach der Wahrheit verzichtet. Und sie zeigen sich irritiert, wenn sie auf Menschen treffen, die auf diese Suche nicht verzichtet haben. …Genuss ist das einzige, was bleibt. Ihre moralische Formel lautet:’I fit feels good, it is good‘. (‚Ist es angenehm, dann ist es auch moralisch gut.‘) Aber das Leben belehrt uns eines Besseren: Vieles, was angenehm ist, ist schädlich, für unseren Körper wie fir unsere Seele. Das muss man berücksichtigen, wenn man ein menschliches Leben führen will.“
Zur Frage der aufgebauschten Debatte um die Homosexualität meint er:
„Worum es diesen Leuten geht, hat kaum etwas mit dem Leben der Homosexuellen zu tun. Es geht diesen Leuten allein darum, die gesellschaftliche Stellung der Familie zu unterminieren. Diese Leute sind von dem Begriff ‚Normalität‘ obsessiv ergriffen. Sie stellen sich vor, dass es derzeit keine zulässige Normalität gibt. Und ihre Idee ist, dass ‚Normalität‘ dann erreicht ist, wenn die wahre Normalität überwunden ist. Ich finde, das ergibt keinen Sinn, aber sie wollen eine neue Welt darauf aufbauen… Und es endet mit einer Staatsideologie: ‚Der Staat muss festlegen, was (neue) ‚Normalität‘ ist, und der Staat muss proklamieren, dass unsere neue Haltung die normale ist‘ .“
„Es gibt eine Art Inquisition in Europa, eine atheistische Staatsreligion samt Gewissenspolizei“,
warnt Buttiglione. ¹²
Dass die evangelischen Landeskirchen gegen derlei Tendenzen seit langem nicht eindeutig Position beziehen, sie im Gegenteil oft noch zulassen, herunterspielen, verschleiern helfen, ja sogar fördern, wird man ihnen als schwere Schuld anrechnen müssen. In der Gesellschaft wächst aber bereits ein Unbehagen an den bisher gepriesenen Lebensmodellen. So hat z.B. die an sich linksliberale „Zeit“-Redakteurin Susanne Gaschke in ihrem Buch „Die Emanzipationsfalle. Erfolgreich, einsam, kinderlos“ (München 2005) auf die düstere Kehrseite der Frauenbewegung hingewiesen. U.a. befürchtet sie, dass mittels Ganztagsschulen und Hort-Offensiven die Kindererziehung „komplett aus der Familie outgesourct“ wird. Dabei sei der Erhalt einer „wirtschaftsfreien, nichtökonomisierten, ineffizienten, freien Familienzone“ mindestens ebenso wichtig wie eine gute institutionelle Kinderbetreuung. Der schulischen Sexualaufklärung wirft sie „Kindervermeidung“ als Hauptziel vor und sie will jene „außerkapitalistische“ Energie fördern, die den Wunsch nach Kindern überhaupt erst entstehen lässt. ¹³
Buttiglione urteilt:
„Die Menschen haben keinen Halt, keine Führung, keine Tröstung. Ja, viele Menschen hegen heute noch den Hass gegen die christlichen Werte. Aber ich glaube, vor allem deshalb, weil sie ihnen vergällt worden sind. Eigentlich sehnen sie sich geradezu danach.“ ¹⁴
Auch die heutigen Frauen sollten sich fragen, ob alles das, was als emanzipatorische Errungenschaft gepriesen wird, ihnen wirklich dient. Immerhin müssen sie nun auch den schützenden Raum der Familie verlassen. Sie müssen ihre Kinder von anderen betreuen und erziehen lassen. Jedes fünfte Kind ist entwicklungsgestört ¹⁵. Sie werden eher zu Abtreibungen veranlasst. Als Konkurrentin verlieren sie an Nimbus und Achtung, wie man schon an der Umgangssprache beobachten kann. Mit dem Bemühen, Beruf und Familie zu vereinen, haben sie eine Aufgabe übernommen, die man mit der Quadratur des Kreises vergleichen kann. Stress und vielfältige Probleme gibt es am laufenden Band.
Anmerkungen/Quellen:
1. K.Barth, „Mann und Frau“, Siebenstern Taschenbuch Verlag 1964, Bd.18, S.59.
2. Ebda. S.83.
3. Ebda. S.87.
4. Ebda. S.93f.
5. Ebda. S.86.
6. Ebda.S.78.
7. Vgl. den Vortrag von Prof. Dr. Ulrich Eibach „Homosexualität und Kirche“ S.4 und „Kirchliche Handlungen für von der Ehe abweichende Lebensformen?“ Idea-Dokumentation 11/99, S.8.
8. Eibach,Idea-Dok.,S.8.
9. Ebda. S.7.
10. Bei Georg Huntemann „Die Zerstörung der Person“ 1984, S.73.
11. Interview mit Meinhard Miegel, Junge Freiheit 3/06, S.4.
12. Interview mit Rocco Buttiglione, Junge Freiheit 49/05, S.4f.
13. Junge Freiheit 5/06, S.13.
14. Junge Freiheit 49/05, S.5.
15. Bild-Zeitung v. 30.3.05. S.1.