(AG WELT) Am 23. Februar fand in der Ulmer Martin-Luther-Kirche zum Thema „Christen, Muslime und der Eine Gott“ ein sogenannter „Abendstern-Gottesdienst“ statt. Die Predigt hielt Professor Hermann Häring (Tübingen).
Angesichts der muslimischen Besucher betonte Häring, er sei sich dessen gewiss, „dass wir uns alle und ausnahmslos Schwestern und Brüder nennen dürfen“. Man hänge voneinander ab und gehe auf „ein gemeinsames Ziel“ zu. In Assisi sehe er einen Ort der Gemeinsamkeit, „wo sich die Weltreligionen schon zweimal zum gemeinsamen Gebet getroffen haben.“
„Alle drei (Religionen) glauben an denselben Gott“
Doch jede religiöse Gruppierung bestehe darauf, „dass ausgerechnet ihr Gott der wahre sei“, mahnte der Theologe. So seien Christen der Überzeugung, „dass sich die Gottheit erst in Jesus Christus der Welt voll zu erkennen gab“. Nach Härings Ausführungen sei es „aussichtslos, wollten wir kraft eigener Analyse die beste oder die wahre Gottheit herauszufiltern.“ Lessing habe mit seiner Ringparabel „den besseren Weg gewiesen“. Der „Zuschlag“ müsse jener Religion gelten, die die Nächstenliebe am konsequentesten zum Ausdruck bringe.
Judentum, Christentum und Islam würden „in besonderer Weise zusammengehören“, meinte Häring und verwies auf die Theologie der Kultur und des interrreligiösen Dialogs, wie sie der Theologe Karl-Josef Kuschel vertrete. Nach Härungs Auffassung habe Gott „drei Religionen zugelassen, wenn nicht gar gewollt.“ Er sei fest davon überzeugt: „Alle drei glauben an denselben Gott, gleich ob wir ihn Allah, Jahwe oder den Gott Jesu Christi nennen.“ Alle Menschen gehörten „in all ihrer Verschiedenheit zur einen Familie Gottes“, so Häring.
„Noah – Stammvater der Menschheit“
Die Noah-Geschichte verbinde nach Häring „die abrahamitischen Religionen in besonderer Weise“, weil sie die heutige „prekäre Situation der Menschheit, die dabei ist, sich auszurotten“ und keine Zukunft mehr verdient habe. Gott wolle dieser Welt ein Ende setzen, weil „die Menschen nicht einmal die universalen, die vor-religiösen Bedingungen eines gedeihlichen Zusammenlebens erfüllen.“ So seien die Menschen schon in einer Zeit, „bevor es die jüdische Religion, den Dekalog und die Propheten gab“, dazu aufgerufen, „Gottes Stimme gemeinsam in der Welt zu vernehmen.“ Nicht Adam, sondern Noah sei der Stammvater der Menschheit, dem die Menschen zu danken hätten. Mit Noah schlügen „die Heiligen Schriften den Bogen zu allen Menschen, die den Religionen Abrahams nicht angehören.“ Noah sei, so der Tübinger Theologieprofessor, der „Künder einer neuen Menschheitsfamilie.“
In der Noah-Geschichte gehe es nach Häring „nicht um Juden, Muslime oder Christen, sondern um Menschen.“ Demnach stünden „alle Menschen, nicht nur die Kinder Abrahams, in Gottes Gnade.“ Bei den Gottheiten der großen Religionen gehe es „nie einfach um das Recht und die Wahrheit einer einzelnen Religion.“ Dass sie dennoch „gerne arrogant handeln und sich für alleinseligmachend halten“, hänge allein damit zusammen, dass sie sich „ohne Korrektur von außen entwickeln konnten“, so Häring. Für ihn sei der Bund zwischen Gott und Noah „weit entfernt von der jüdischen Tora“ und stelle alles Leben unter Gottes Schutz.
„Gott, der Vater und die Mutter aller Menschen“
Gerade diejenigen, „die es mit ihrer Gottesfrage ernst nehmen“, verstünden sich oft als Zweifler. Häring rief die „Gottesdienst“-Besucher dazu auf, sich deren „Fragen und Suchbewegungen“ anzuschließen. Es sei seiner Ansicht nach „vielleicht… eine fruchtbare Zeit, in der neue Religionen entstehen können“. Und Häring fragt abschließend: „Warum sollten Judentum, Christentum und Islam nicht eine neue Basis des Einverständnisses finden? Ich halte es für möglich und hoffe darauf. Der Gott Noahs will es!“
In einem anschließenden „Segensgebet“ hieß es:
„Ich bin bei Euch, alle Tage, bis ans Ende der Welt. Diese Segensverheißung des uns gegenwärtigen Gottes begleite uns.
– Gott, der Vater und die Mutter aller Menschen, verleihe uns ihren Frieden.
– Der Ursprung des Lebens begleite uns, damit der Tod uns nicht überwältigt.
– Die unendliche Weisheit erleuchte uns, damit unsere Fragen ihre Antwort finden.
– Die allmächtige Güte stärke uns, damit wir der Versuchung zur Gewalt widerstehen,
– die allgütige Liebe durchdringe uns, damit wir Versöhnung schaffen.
– Der Geist der Bescheidenheit leite uns, damit wir die Mauern der Religionen überwinden.
– Das Geheimnis unserer Rettung bleibe uns nahe, damit wir das gemeinsame Ziel erkennen.
– Die Kraft des Verzeihens und der Barmherzigkeit komme über alle Länder, die mit Gewalt und Krieg überzogen werden, ebenso wie in unsere Herzen.
– So lasse der Bildner Adams und der Beschützer Noahs, der Gott Abrahams, Isaaks und Ismaels, der Abba Jesu sein Antlitz über uns leuchten.
– Ihr Friede komme über uns.
Gott, dem Geheimnis dieser Welt, Vater, Bruder und Geist, sei alle Ehre und Herrlichkeit. Amen.“
Häring studierte Philosophie in München und katholische Theologie in Tübingen. Zehn Jahre (1970 bis 1980) war er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für ökumenische Forschung in Tübingen unter Leitung von Hans Küng. 2005 wurde Häring emeritiert. Bis heute berät er das „Projekt Weltethos“ des Theologen Hans Küng, das mit dem interreligiösen Dialog die Erhaltung des Weltfriedens zum Ziel hat.
Wie auf der Internetseite des Evangelisches Kirchenbezirkes Ulm zu erfahren ist, will man mit dieser „alternativen Gottesdienstreihe… Neugierige und Sinnsucher“ erreichen. Es soll eine „Atmosphäre zum Wohlfühlen“ geschaffen werden, „auch für Leute, die mit Religion und Kirche sonst nicht so viel anfangen können“. Veranstalter der „Abendstern-Gottesdienste“ sind die Evangelische Reformationsgemeinde Ulm und die katholische Seelsorgeeinheit Ulmer Westen.