(AG WELT) In jüngster Vergangenheit (2013) sind zwei neue Bücher erschienen, die authentisch Einblick in das zuweilen erschreckende Innenleben der Scientology-Organisation liefern.
→ „Mein geheimes Leben bei Scientology und meine dramatische Flucht“, Autorin: Jenna Miscavige Hill, München: btb Verlag, 280 Seiten, 19,99 EUR
Inhaltlich durchaus umstritten ist dieser Scientology-Bestseller von Jenna Miscavige Hill, der 1984 geborenen Nichte von David Miscavige, dem Nachfolger des Scientology- Gründers L. Ron Hubbard.
J. M. Hill schreibt über befremdliche und skurrile Details ihrer Kindheit und Jugend in einer Scientology-Parallelwelt, voll seltsamer Gedanken, Begriffe und Verhaltensweisen. Als jahrelanges Mitglied der „Sea Organization“ (Scientology-Management) schildert sie Überzeugungen, Rituale und Geheimnisse der Psycho-Gruppe. Seit sie auf grund einer Liebesgeschichte und innerfamiliären Spannungen 2005 Scientology verließ, engagierte sie sich in der Sekten-Aufklärung. J. M. Hill ist Mitinitiatorin einer Website, die derzeitigen und ehemaligen Scientologen die Möglichkeit bietet, sich über ihre Erfahrungen auszutauschen und unterstützt diejenigen, die sich entschlossen haben die Organisation zu verlassen.
Da ihre Eltern hochrangige Mitarbeiter von Scientology waren, wurde J. M. Hill – wie in dieser „Kirche“ üblich – schon als Kind in einem Scientology-Internat („Ranch“) erzogen. Hier war sie weitgehend von der Außenwelt isoliert und erhielt keine übliche Allgemeinbildung. Stattdessen musste sie schwere körperliche Arbeit verrichten und wurde einer intensiven und langen Indoktrination mit der Scientology-Weltanschauung ausgesetzt. Am Ende dieser „Ausbildung“ unterschrieb sie einen Arbeitsvertrag für „eine Milliarde Jahre“.
Psychisch unter Druck
Mit zwölf Jahren begann sie ihre Tätigkeit bei Scientology, weiterhin von ihren Eltern getrennt. Als Mitglied der „Sea Organization“ fühlte sie sich unfrei und ständig psychisch unter Druck gesetzt. Es gab keinerlei materiellen Besitz oder Privatsphäre. Schon kleine Regelverstöße wurden mit erniedrigender Arbeit geahndet. Der Alltag war fast militärisch geregelt.
Obwohl sich im Laufe der Zeit sowohl ihre Eltern als auch ihr Bruder von Scientology verabschiedeten, blieb J. M. Hill. Erst aufgrund von Einschränkungen ihrer Stellung in der Organisation und der Behinderungen ihrer Beziehung zu einem anderen Scientology-Mitarbeiter („Dallas“) distanzierte sie sich schließlich von der Psychogruppe.
Das persönliche Erleben und die Betroffenheit der Autorin machen den hauptsächlichen Wert des Buches aus und stützen seine Glaubwürdigkeit. Nach ihrem Bericht gehören Gewalt, Drohungen und psychischer Druck zum regulären Arsenal von Scientology um Mitglieder und Mitarbeiter unter Kontrolle zu halten. Nur nebenher wird das autoritäre und ideologische System von Scientology beschrieben, ebenso die werbewirksame Sonderbehandlung prominenter Mitglieder.
Substanziell bietet das Buch aber nur äußerst wenige In formationen über das Leben und die Religion von Scientology. Wichtige Aspekte der Weltanschauung werden weder genannt noch diskutiert. Fast gewinnt man den Eindruck, dass sich die Autorin inhaltlich nur teilweise von Scientology distanziert hat. Es scheint, als hätten in erster Linie persönliche Spannungen zu ihrem Austritt geführt, die in ähnlicher Weise auch in vielen anderen Familien und Organisationen hätten stattfinden können. Obwohl J. M. Hill verhältnismäßig eng mit David Miscavige, dem gegenwärtigen Leiter von Scientology, verwand ist, kommen in ihrem Buch kaum Interna der Organisation zur Sprache. Neben zahlreichen persönlichen Auseinandersetzungen und Generationskonflikten werden zumeist altbekannte Beschreibungen aus dem Scientology-Alltag wiederholt. Insgesamt bietet das Buch keine tiefgründige Aufklärung über Scientology. Struktur oder Ideologie der Organisation werden nur wenig durchdacht und kritisch analysiert. Es handelt sich eher um stellenweise recht spannend dar gestellte Erfahrungen einer jungen pubertierenden Frau.
→ Im Gefängnis des Glaubens: „Scientology, Hollywood und die Innenansicht einer modernen Kirche“, Autor: Lawrence Wright, München: Deutsche Verlags-Anstalt, 624 Seiten, 24,99 EUR
Nach jahrelangen Recherchen präsentiert der Pulitzer-Preisträger Lawrence Wright in diesem Buch seine Ergebnisse. Er schildert die Gründung von Scientology durch den Science- Fiction-Autor L. Ron Hubbard, die abenteuerlich anmutenden Glaubensinhalte, die engen Beziehungen zu Schauspielern (z.B. Tom Cruise, John Travolta) und Musikern, sowie die aggressive Reaktion gegenüber Aussteigern und Kritikern. Prominente genießen demnach eine Sonderbehandlung, um sie als Werbeträger benutzen zu können. „Wer einen dieser Prominenten an Land zieht, wird mit einer kleinen Gedenktafel belohnt“.
Auch die Lehre von Scientology wird hier in ihren Grundzügen vorgestellt. Unter der Leitung von David Miscavige verfolgt Scientology als „inneres Ziel“, die „uneingeschränkte materielle Herrschaft über das Universum“. Dem will man sich auf dem Weg zahlreicher „Wiedergeburten“ nähern. Die Seelen („Thetanen“) der Menschen stammen demnach von einem fernen Planten. Ihre Bindung an den materiellen Körper hindert sie daran, sich allmächtig und frei durch den Weltraum zu bewegen. Traumatische Erlebnisse („Engramme“) binden die Seele.
Bei Missverhalten ins Straflager
Durch eine Erinnerung und Bearbeitung dieser Erfahrungen („Dianetik“) könnten sie neutralisiert werden, aber natürlich nur mit der „Auditing“-Therapie von Scientology. Unter anderem führt Wright die große Differenz zwischen Anspruch und Wirklichkeit bei Scientology vor Augen. So präsentiert sich die Organisation gerne als groß und einflussreich, hat aber nur 30 000 wirklich eingetragene Mitglieder und verfügt über rund eine Milliarde Dollar. Ausführlich stellt Wright die autoritären Strukturen der Gruppe dar und den immensen Druck, dem Mitarbeiter und Kritiker zuweilen ausgesetzt werden. Demnach können selbst angesehene Scientologen bei Missverhalten schnell in „Straflagern“ landen, wo sie unter psychischem Druck und körperlicher Gewalt „zur Reue kommen“ sollen.
Obwohl der Scientology-Gründer Ron Hubbard in seiner Werbung behauptete, auf christlichen Werten aufzubauen, sah er sich dazu berufen „die alte Religion“ – damit meinte er das Christentum – abzulösen. Das flüssig geschriebene Buch bietet zahlreiche aktuelle und kritische Informationen über die umstrittene Scientology- Organisation.
[Auszug aus BRENNPUNKT WELTANSCHAUUNG 4/2013]