Quelle: idea.de
„Dan Browns“ neuer Roman „Das verlorene Symbol“ begibt sich unter die Freimaurer
(idea) Professor Robert Langdon, der sympathische Experte für Symbologie, entschlüsselt wieder Bilderrätsel. In Dan Browns Roman „Sakrileg“ ermittelte er in einem Mordfall im Pariser Louvre, der im Zusammenhang mit dem Vatikan und dem Opus Dei stand. Das Buch verkaufte sich weltweit mehr als 80 Millionen Mal – und erregte Aufsehen, weil es nahelegte, dass Jesus mit Maria Magdalena verheiratet war und Kinder hatte. Im Roman „Das verlorene Symbol“ ist Professor Langdon den Freimaurern auf der Spur. In den USA hat sich der Krimi allein in der ersten Woche mehr als eine Millionen Mal verkauft. In Deutschland erscheint das 765 Seiten starke Werk am 14. Oktober. Karsten Huhn hat es gelesen.
Es geht um nicht weniger als um den größten Schatz der Menschheit. Im Washingtoner Kapitol liegt eine abgehackte Hand, die Nation ist in der Krise, der CIA ermittelt in Gestalt einer japanischstämmigen, von Kehlkopfkrebs zerfressenen Direktorin. Die Welt scheint von Freimaurern gesteuert zu werden. Der blinde Dompropst der Washingtoner Kathedrale gehört zu dem geheimnisvollen Männerbund, ebenso der CIA-Chef und zahlreiche Senatoren. Es geht um fingierte Anrufe, ein Speziallabor hinter Stahltüren und einen Totenschädel in den Kellerkatakomben des Kapitols. Eine Frau wird in einem Ethanol-Tank ertränkt, ein unvorsichtiger Wachmann verbrennt, das Geheimlabor fliegt in die Luft, Autoräder kreischen, Hubschrauber kreisen. Professor Langdon bleiben nur wenige Stunden, seinen Freund, der ebenfalls ein hochrangiger Freimaurer ist, aus der Geiselhaft zu befreien. Also hastet er durch unterirdische Gänge, löst seltsame Bilderrätsel, flieht in einer Bücherkiste auf dem Förderband der Kongressbibliothek vor dem CIA, wird zweimal festgenommen und wieder freigelassen und übersteht zudem eine grässliche Wasserfolter.
Ein tätowierter Psychopath
Langdons Gegenspieler ist über und über tätowiert, hat sich seine Hoden entfernen lassen und kennt keine Skrupel, um sein Ziel zu erreichen. Die Umgangsregeln mit einem solchen Bösewicht sind denkbar einfach: Wer nicht kooperiert, wird umgelegt, wer mit ihm zusammenarbeitet ebenfalls. Damit der Roman spannend bleibt, lässt der Psychopath seine Opfern manchmal scheintot liegen, dann kommt auch schon die chronisch überforderte Polizei und wundert sich.
Beim Lesen sieht man die Filmbilder bereits vor sich. Dan Browns Kapitel sind kurz, die Sätze schlank und auf Effekt getrimmt. Ständig wechseln die Schauplätze, gibt es neue Fährten, die meist natürlich in die Irre führen. Nicht immer ist das alles logisch – aber was ist im Leben schon immer logisch?
In seinem Roman „Sakrileg“ hatte Dan Brown eine Verbindung zwischen Leonardo da Vincis „Abendmahl“-Bild und einer sexuellen Beziehung zwischen Jesus Christus und Maria Magdalena gezogen. Diesmal sind es Albrecht Dürer, Isaac Newton und Benjamin Franklin, die mit einer seltsamen Freimaurer-Pyramide zu tun haben sollen. Das ist etwa so wahrscheinlich als würde jemand behaupten, Dschingis Khan, Mutter Teresa und Mickey Mouse seien für den Bau der Berliner Mauer verantwortlich gewesen – egal, Hauptsache es ist spannend.
Geistiges Fast Food
Einer von Dan Browns Kritikern ist der Krimiautor Stephen King, dessen Chancen auf den Literaturnobelpreis auch nicht allzu groß sein dürften. Er wirft Brown vor, geistiges Fast Food zu produzieren. Tatsächlich beschleicht einen beim Lesen mit der Zeit der gleiche Unwillen wie bei vielen Baller-Filmen: Die Luft ist von Kugeln durchsiebt, aber der Held überlebt, alles fliegt in die Luft – aber bei soviel Spezialfeffekt-Konfetti hat man längst vergessen, worum es eigentlich ging.
Höhepunkt des Romans ist der Versuch des tätowierten Psychopathen, Abrahams Opfer seines
Sohnes Isaak zugleich mit dem Gleichnis vom verlorenen Sohn aufzuführen. Die abstruse Szene leitet er mit dem Ruf ein: „Empfangt mich Dämonen, denn dies ist mein Leib, den ich für Euch hingebe.“ Der Rezensent gesteht, dass er hier kläglich versagt hat – denn verstanden hat er den Sinn dieses Rituals nicht. Aber es ist ja auch gar nicht so leicht, sich in die Seele von Psychopathen hineinzuversetzen.
Esoterische Glaubenssätze
Einerseits sind Orte und Hintergründe von „Das verlorene Symbol“ solide recherchiert und mit der Detailgenauigkeit eines Brockhaus-Artikels beschrieben. Zugleich hat Brown zahlreiche Verschwörungstheorien und esoterische Glaubenssätze eingeflochten, so dass schwer zu unterscheiden ist, was nun Wissenschaft und was Wahnsinn ist. So postuliert Brown in seinem Roman eine „noetische Wissenschaft“, die an die Dianetik-Lehre von Scientology-Gründer L. Ron Hubbard erinnert: Wenn alle Menschen den gleichen Gedanken denken, hat dies Auswirkungen auf die reale Welt. Als Plot für einen Roman ist das vielleicht ganz nett, aber Dan Brown glaubt offensichtlich, dass dies auch in der realen Welt funktioniert. In einem Interview mit der Illustrierten „stern“ sagte er: „Sie nehmen ein Glas Wasser und frieren es ein. Dann stellen sie eine Gruppe Menschen drum herum, die alle wunderschöne, reine Gedanken haben, und schon werden die schönsten Kristalle entstehen … Wenn Du Dich lange genug konzentrierst, während du eine Krebszelle anschaust, kannst du sie gesund machen…“
Umfassende Religionskritik
Dan Brown ist Sohn eines Mathematikprofessors und einer Kirchenmusikerin, von sich selbst sagt er: „Meine Kirche ist der Sonnenaufgang.“ Wie schon in „Sakrileg“ betreibt Brown auch in „Das verlorene Symbol“ wieder umfassende Religionskritik – manchmal bedenkenswert, oft kurios –, die er den verschiedenen Akteuren seines Romans in den Mund legt:
• „Religionen versprechen Erlösung, glauben an eine ausgefeilte Lehre und bekehren Ungläubige. Nichts davon tritt auf die Freimaurerei zu.“
• Ist es nicht merkwürdig, dass Freimaurer mit Totenschädeln und Sensen meditieren? „Nicht merkwürdiger als Christen, die zu Füßen eines Mannes beten, der ans Kreuz
genagelt wurde.“
• Einen wunden Punkt trifft Brown bei vielen Christen wenn er über sie schreibt: „Die meisten wollen beides. Sie wollen an die Bibel glauben und zugleich jene Teile der Heiligen Schrift ignorieren, die ihnen zu schwierig oder unangenehm erscheinen.“
• „Die religiösen Genies aller Zeiten waren durch diese kosmische Religiosität ausgezeichnet, die keine Dogmen und keinen Gott kennt, der nach dem Bild des Menschen gedacht wäre.“
• Eine weit verbreitete Stimmung greift Brown auf, wenn er schreibt: „Von den Kreuzzügen über die Inquisition bis hin zur Politik der Vereinigten Staaten in der Gegenwart – Christus war immer wieder in allen nur denkbaren Machtkämpfen als vorgeblicher Verbündeter missbraucht worden. Seit Anbeginn der Zeit hatten stets jene die Stimme am lautesten erhoben, die am ahnungslosesten waren. Sie hatten die Massen beeindruckt, das zu tun, was sie, die Mächtigen wollten. Sie hatten ihre weltlichen
Begierden mit Zitaten aus der Heiligen Schrift gerechtfertigt, die sie selbst nicht verstanden. Sie hatten ihre Intoleranz als Beweis für ihre Überzeugungen zelebriert.“
• Der Glauben an ein Leben nach dem Tod hat in „Das verlorene Symbol“ keine Chance: „Als junges Mädchen hatte Katherine sich oft gefragt, ob es ein Leben nach dem Tod gab. Als sie älter wurde, machte das wissenschaftliche Studium alle fantasievollen Vorstellungen vom Paradies, von der Hölle oder einem Leben nach dem Tod zunichte. Nach und nach akzeptierte sie, dass der Gedanke vom ‚Leben nach dem Tod’ nur ein menschliches Konstrukt war… ein Märchen, das die schreckliche Wahrheit des Sterbens erträglicher machen sollte.“
• Wie aus einer Werbebroschüre der Freimaurer liest es sich, wenn Dan Brown seinem klugen Professor Langdon die Worte in den Mund legt: „Freimaurerische Initiationsriten waren deshalb so verwirrend, weil sie als Transformation gedacht waren. Die freimaurerischen Schwüre waren deshalb so unversöhnlich, weil sie daran gemahnen sollten, dass die Ehre eines Menschen und sein Wort alles
waren, was er aus dieser Welt mitnehmen konnte. Die freimaurerischen Lehren waren deshalb so mysteriös, weil sie universal gedacht waren, und sie wurden mittels einer gemeinsamen Sprache aus
Symbolen und Metaphern gelehrt, die alle Religionen, Kulturen und Rassen überbrückte. So schufen sie ein einheitliches, weltweites Bewusstsein brüderlicher Liebe.“
Schön wär’s, wenn das stimmen würde – allerdings ist für nicht Eingeweihte das segensreiche
Wirken der Freimaurer auf dieser Welt doch nicht so offensichtlich.
Alles nur Fiktion?
Nun könnte man sagen: Das ist doch alles nur Fiktion! Allerdings wirbt Brown außerhalb seines Romans mit ähnlichen Worten. Im Interview mit dem „stern“ sagte er: „Die Freimaurer sind eine globale Organisation, die Menschen aller Glaubensrichtungen zusammenbringt. Sie sagen: Es ist mir egal, wie du Gott nennst Nenn ihn einfach den Architekten des Universums. Das ist großartig… Könnte das nicht die Blaupause für eine weltweite Spiritualität sein, um endlich aufzuhören mit dieser semantischen Spielerei: Das ist mein Gott, und das sind die Regeln, die er mir gab. Können wir nicht über diese engstirnige Spiritualität hinausgehen? Wir alle glauben doch dasselbe.“
Ganz hilfreich ist da vielleicht der Rat, der dem Leser auf Seite 617 gegeben wird: „Vertiefen Sie weiterhin Ihren Glauben. Studieren Sie die Bibel.“
[Anmerkung der Redaktion AG WELT: Ein Kommentar muss nicht in jedem Fall mit der Meinung der Redaktion übereinstimmen.]