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Evangelische Perspektive ohne Gottesfurcht?

Der Pfarrer und Evangelist Ulrich Parzany. Foto: AG WELT

von Ulrich Parzany

Der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) hat in einer Stellungnahme am 18.12.2024 erklärt, dass der im Bundestag eingebrachte und bisher von über 300 Abgeordneten unterstützte Gesetzentwurf zur Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs „in evangelischer Perspektive weitgehend zustimmungsfähig“ sei.

Grundlage der Stellungnahme ist eine erstaunliche Behauptung: „Aus Sicht der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) handelt es sich beim Schwangerschaftskonflikt um einen unauflösbaren Konflikt: Dem Anspruch des Ungeborenen, geboren zu werden, steht der Anspruch an das eigene Leben gegenüber, dem sich die Schwangere ebenso verpflichtet sieht. Beide Ansprüche gelten für sie unbedingt, und beide können aus einer christlichen Perspektive als Gottes Gebot verstanden werden.“

Unauflösbar ist der Konflikt zwischen der vorgeburtlichen Tötung des Kindes und dem Tod der Mutter. Dieser Konflikt ist nach geltendem Recht mit der medizinischen Indikation erfasst. Aber der „Anspruch an das eigene Leben, dem sich die Schwangere ebenso verpflichtet fühlt“ kann viele soziale Herausforderungen umfassen, die aber die vorgeburtliche Tötung des Kindes nicht rechtfertigen.

Und wieso können Ansprüche an das eigene Leben, denen eine Frau sich verpflichtet fühlt, „aus christlicher Perspektive als Gottes Gebote verstanden werden“? Mit keiner Silbe werden die Gebote Gottes, wie sie uns in der Bibel gegeben sind, erwähnt. An ihnen werden alle Ansprüche, die Frauen und Männer an ihr eigenes Leben haben mögen, gemessen.

Selbstverständlich werden wir alle dauernd „mit unterschiedlichen, konkurrierenden Ansprüchen konfrontiert“. Der Rat der EKD behauptet, Gott entlasse „den Menschen in die Freiheit, sich zwischen solchen Ansprüchen vor seinem Gewissen verantworten zu dürfen – sich aber auch verantworten zu müssen“. Ist das Gewissen an die Stelle Gottes getreten? Nach biblischem und reformatorischem Verständnis ist unserer Gewissen an Gott und sein Wort gebunden. Wir müssen uns also vor Gott verantworten, nicht nur vor unserem Gewissen. Der säkulare Staat kann das nicht einfordern. Der Rat der EKD aber will ja aus „christlicher Perspektive“ sprechen. Er spricht aber, als ob es Gott nicht gäbe.

In These 5 der Theologischen Erklärung von Barmen 1934 heißt es im Blick auf das Verhältnis von Kirche und Staat: „Sie [die Kirche] erinnert an Gottes Reich, an Gottes Gebot und Gerechtigkeit und damit an die Verantwortung der Regierenden und Regierten.“ Anders klingt es beim Rat der EKD, wenn er schreibt: „Daher muss die Schwangere letztlich selbst entscheiden und selbst entscheiden können. Diese Entscheidung muss sie vor ihrem Gewissen treffen. Niemand kann ihr darum diese Entscheidung abnehmen und niemand darf sie ihr abnehmen.“

Wenn Gottes Gebot verschwiegen wird, gerät leider die Erinnerung an Gottes Gnade in den Verdacht der „billigen Gnade“, wenn der Rat der EKD erklärt: „Eine verantwortete Entscheidung ist dabei nach evangelischer Überzeugung möglich, weil der Unausweichlichkeit der Schuldübernahme die Gnade Gottes gegenübersteht.“

Für die Bundestagsabgeordneten, die eine Neuordnung der vorgeburtlichen Tötung von Kindern beantragt haben, stellt schon „die geltende Regelung des Schwangerschaftsabbruchs eine erhebliche Einschränkung der Selbstbestimmung, der persönlichen Integrität und der körperlichen Autonomie Schwangerer dar“. Der Rat der EKD hat der einseitigen Betonung der Selbstbestimmung der Schwangeren nichts entgegenzusetzen und meint, der Gesetzentwurf zur Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs sei „in evangelischer Perspektive weitgehend zustimmungsfähig“.

Wenn das, was der Rat erklärt hat, eine evangelische Perspektive sein soll, dann fehlt ihr leider jede Gottesfurcht. Das ist traurig und nicht zustimmungsfähig.

Ulrich Parzany

Quelle: Netzwerk Bibel und Bekenntnis

Die ganze Stellungnahme des Rates des EKD hier:

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