AG Welt

Wohlfühl-Wohnzimmerkirche?

Eberhard Kleina, Pfr. i.R. und theologischer Berater AG WELT. Foto: privat

von Eberhard Kleina

Dass die Mitgliederzahlen der beiden (noch) großen Kirchen dramatisch zurückgehen und die katholische und evangelische Kirche in etwa 20 Jahren nur noch die Hälfte ihres jetzigen Mitgliederbestandes haben, scheint die Kirchenleitungen nicht zu beeindrucken.

Ist der Mitgliederbestand in einer Gemeinde zu stark gesunken, wird sie eben mit der Nachbargemeinde vereinigt. Kirchliche Gebäude werden aufgegeben usw. Die Kirchensteuer scheint eine Bestandsgarantie für die Erhaltung der Kirchen zu sein. Das ist jedoch ein Irrtum.

Wie mir persönlich bekannt ist, macht sich der eine oder andere Pfarrer  durchaus allmählich  Gedanken, was aus seiner Stelle wird, wenn die Zahl seiner Gemeindemitglieder weiter schwindet. Interessant ist in diesem Zusammenhang die Meldung in ideaSpektrum, Ausgabe Nr. 10 vom 4. März 2020 über die evangelische Kirchengemeinde Hamburg-Ottensen. Dort wird, um den Mitgliederschwund zu bremsen und wohl auch neue Mitglieder zu gewinnen, eine sogenannte „Wohnzimmerkirche“ angeboten.

Ein Mitarbeiterkreis richtet einen Raum mit Wohnzimmeratmosphäre ein. Anstelle in einem kirchlichen Raum, glaubt man sich also in einem Wohnzimmer zu befinden. Dieses Projekt läuft seit Oktober 2019. Alle sechs Wochen findet seither ein sogenannter „Wohnzimmergottesdienst“ statt. Die Zielgruppe sind Menschen, die noch nie einen herkömmlichen Gottesdienst besucht haben.

Man fühlt sich an Willow-Creek erinnert, eine Gemeindewachstumsbewegung aus den USA, die auch besucherfreundliche Wohlfühl-Gottesdienste anbietet, und zwar für Menschen, die Kirche, Gott und Glaube fernstehen. Der Erfolg scheint überwältigend. Tausende besuchen diese Gemeinden, die mittlerweile zu Mega-Gemeinden herangewachsen sind.

Auch in Hamburg-Ottensen sieht es nach einem Erfolg aus. Gestartet sei man mit 40 Besuchern. Der letzte „Wohnzimmer-Gottesdienst“ habe schon mehr als 100 Besucher gehabt. Wie sieht so ein Gottesdienst aus? Eine Frontalpredigt gibt es nicht, wo ein Text aus der Bibel ausgelegt wird. Die Besucher sprechen stattdessen in Kleingruppen miteinander. Gesprächsanregungen kommen von einem „Fragomat“. Das ist ein umgebauter Kaugummi-Automat, in dem – in Hülsen verpackt – Fragen zu einem bestimmten Thema enthalten sind. Jemand dreht am „Fragomat“, öffnet die entnommene Hülse und liest die Frage vor, die dann besprochen wird. Der letzte „Wohnzimmer-Gottesdienst“ hatte das Thema „Liebe – unzähmbar“. Dazu hörten die Besucher Bibeltexte und das Beatles-Lied „All you need ist love“ (Alles, was du brauchst, ist Liebe.)

Nun kann man aus diesen recht kurzen Mitteilungen kein übersichtliches Gesamtbild erhalten. Es sieht aber mehr nach Aktionismus aus. Die Frage ist, ob die Wohnzimmer-Gottesdienste das gesamte Wort Gottes zur Sprache bringen: also dass der Mensch vor Gott ein Sünder ist, dass er ohne den Glauben an Jesus Christus und sein Opfer auf Golgatha rettungslos verloren ist, dass Gott nicht nur ein unverbindliches Interesse erwartet, sondern eine volle Hinwendung zu ihm, eine geistliche Wiedergeburt; dass Jesus der alleinige Weg in die Ewigkeit ist, dass derjenige, der sein Leben Jesus anvertraut hat, auch die Garantie des ewigen Lebens erhält, dass der drei-einige Gott der Bibel nicht identisch mit dem Allah des Koran ist usw., eben das ganze geistliche „Schwarzbrot“ der Heiligen Schrift.

Da, wo man auch heute noch das unverkürzte und eindeutige Wort Gottes in den Gemeinden hört, gibt es auch einen zahlreichen Gottesdienstbesuch, wie beispielsweise in der Evangelischen Sankt Martini-Gemeinde in Bremen oder anderswo. Einen Wohlfühl-Wohnzimmer-Gottesdienst braucht man dort nicht.

Die mobile Version verlassen