Von Michael Kotsch
Man stelle sich vor, ein Germanist fordere die deutsche Rechtschreibung komplett zu streichen, weil sie viel unnötigen Streit verursache. Oder vielleicht solle man alle Literatur vor dem 20.Jahrhundert ignorieren, weil damals noch keine Demokratie in Deutschland herrschte. Ähnlich absurd klingt die Forderung des Berliner Theologieprofessors Notger Slenczka.
Das Alte Testament sei grausam und müsse als Zeugnis einer barbarischen Stammesreligion verstanden werden, so Slenczka. Die archaischen Gottesbilder des Alten Testamentes widersprächen der Theologie der Liebe Jesu Christi. Slenczka betrachtet sich als mutigen Vorkämpfer der endlich mit einem Tabu aufräume. In der Kirche habe das Alte Testament schon lange keine Bedeutung mehr, so der Professor. Nur habe sich bisher niemand getraut, die nötigen Konsequenzen zu ziehen und das Alte Testament aus dem Kanon der christlichen Schriften auszuscheiden.
Altes Testament: „Exekutor des Gesetzes der Vergeltung“?
Ohne Scheu beruft sich Slenczka in seinen Ausführungen auf antijüdische Stereotypen z.B. bei Schleiermacher. Gott im Alten Testament wird da „als Exekutor des Gesetzes der Vergeltung“ bezeichnet. Beim Lesen alttestamentlicher Texte „verkommt“ das „christlich fromme Selbstbewusstsein“ zu einer „gesetzlichen Denkweise oder einem unfreien Buchstabendienst“, meint auch Slenczka.
Weil es ihn ärgert, dass biblische Aussagen nicht mit dem momentan herrschenden Meinungs-Trends der deutschen Gesellschaft übereinstimmen, fordert der Professor kurzerhand die Abschaffung der störenden Zwischentöne. Dass er damit einen wichtigen Teil der Grundlage christlicher Identität gleich mit eliminiert, bereitet ihm nur wenig Probleme.
Ähnliche Forderungen gab es auch schon von sektiererischen Gnostikern aus dem zweiten und dritten Jahrhundert, von den nationalsozialistisch gesonnenen Deutschen Christen und von ideologisch aufgeheizten Atheisten aus dem 20. Jahrhundert, wobei diese am liebsten die ganze Bibel auf den Index der verbotenen Bücher gestellt hätten.
Eine weitere Blüte am Baum der akademischen Bibelkritik
Die Forderungen nach der Abschaffung des Alten Testamentes ist kein unerwarteter Zufall, hier blüht lediglich eine weitere Blüte am Baum der akademischen Bibelkritik. Wie bei bibelkritischen Theologen üblich nimmt auch Prof. Slenczka für sich Wissenschaftlichkeit in Anspruch, wie er in seinen „18 Fragen an die Verächter der wissenschaftlichen Diskussion unter den Berliner Theologen“ deutlich macht. Wie bei zahlreichen anderen Diskussionen um die Bedeutung der Bibel werden auch hier nur diejenigen als ernstzunehmende Akademiker betrachtet, die sowohl gegen die Bibel, als auch gegen die 2000jährige christliche Auslegungstradition stellen.
Da kann man zu den Vertretern christlicher Kirchen nur sagen: „Wenn man solche Freunde hat, braucht man keine Feinde mehr.“
Jesus Christus und die Autoren des Neuen Testaments jedenfalls stützten sich in ihren Ausführungen bedenkenlos auf das Alte Testament und betrachteten es als unveräußerliche Grundlage ihrer eigenen Verkündigung.
„Denkt nicht, dass ich gekommen bin, um das Gesetz oder die Propheten außer Kraft zu setzen. Ich bin nicht gekommen, ihre Forderungen abzuschaffen, sondern um sie zu erfüllen. Denn ich versichere euch: Solange Himmel und Erde bestehen, wird auch nicht ein Punkt oder Strich vom Gesetz vergehen; alles muss sich erfüllen. Wer auch nur eins von den kleinsten Geboten aufhebt und die Menschen in diesem Sinn lehrt, der gilt in dem Reich, das der Himmel regiert, als der Geringste. Wer aber danach handelt und entsprechend lehrt, der wird in diesem Reich hochgeachtet sein.“
(Mt 5, 17-19)