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Jakob Lorber – Zwischen Mystik und Esoterik

Internetseite der Lorber-Gesellschaft. Foto: Screenshot
Internetseite der Lorber-Gesellschaft. Foto: Screenshot

Von Michael Kotsch

Christen aller Konfessionen sprechen den Schriften des Alten und Neuen Testaments eine ganz besondere Autorität zu. Sie gehen davon aus, dass hier nicht die Meinungen und Erfahrungen der betreffenden menschlichen Schreiber nachzulesen sind, sondern dass in der Bibel Gott selbst sich den Menschen mitgeteilt hat. Durch den Heiligen Geist gab er den betreffenden Personen die Worte und Gedanken ein, die sie notieren sollten. Aus diesem Grund sind die Schriften der Bibel für Christen einzigartig und autoritativ. Im Laufe der Kirchengeschichte traten immer wieder Menschen auf, die sich als Medien oder Propheten Gottes betrachteten. Sie deklarierten ihre Äußerungen ebenfalls als direkte Mitteilung Gottes, die der Bibel gleichzustellen sei. Bei den Mormonen werden die „Offenbarungen“ von Joseph Smith und seinen Nachfolgern als der Bibel gleichwertig betrachtet. Für Zeugen Jehovas sind die Äußerungen der Wachturmgesellschaft unmittelbar von Gott geführt. In der sogenannten Lorber-Bewegung (früher: Neu-Salems-Gesellschaft) spricht man den Schriften von Jakob Lorber (1800-1864) göttliche Autorität zu.

Der Prophet

Der „Schreibknecht Gottes“, wie er sich selbst nannte, wurde im Jahr 1800 in eine traditionell katholische Familie der früheren österreichischen Untersteiermark hineingeboren. Zeitweilig wollte er Priester werden. Er war auch als Hauslehrer tätig. Insbesondere sprach ihn die mystische Literatur von Jakob Böhme, Johann Tennhardt, Emanuel Swedenborg, Johann Heinrich Jung-Stilling und Justinus Kerner an. Als junger Mann zog er nach Graz und widmete sich immer stärker der Musik. Er gab kleinere Konzerte und verfasste Musikkritiken. Mit 40 Jahren will er plötzlich die „Gnadenstimme des Herrn Jesus Christus“ gehört haben, die ihm in den folgenden 24 Jahren rund 20.000 Manuskriptseiten diktiert haben soll.

Unterstützt von Freunden aus dem Grazer Bürgertum verfasste Lorber 25 zum Teil recht umfangreiche Bücher, in denen er vorgebliche Botschaften von Jesus Christus und von Verstorbenen aus dem Jenseits verarbeitet.

Die Bücher

In dem zehnbändigen „Großen Evangelium Johannes“ (1851–64) erzählt Lorber seine Version der dreijährigen Wirksamkeit Jesu. Seine vorgeblich auf eine göttliche Offenbarung zurückgehende Erzählung weicht erheblich von den biblischen Berichten ab. Dabei legt Lorber Jesus seine Konzeption der Welt in den Mund. Weitschweifige Reden erläutern das Wesen der Materie, den Urstoff der Schöpfung, die Funktion des Äthers, die Hintergründe der Handauflegung und der Fernheilung.

Weitere Spekulationen über das Leben Jesu und der frühen christlichen Gemeinde finden sich in „Die Jugend Jesu“ (1843/44), „Briefwechsel Jesu mit Abgarus“ (1845/46), „Der zwölfjährige Jesus im Tempel zu Jerusalem“ (1859/60) und „Der Laodizenerbrief des Apostels Paulus“ (1844).

Vorgeblich übernatürliche Enthüllungen über die Geheimnisse der Natur, des Universums und des Wesens Gottes finden sich in „Die Haushaltung Gottes“ (1840-1844), „Der Mond“ (1841), „Die natürliche Sonne“ (1842), „Der Saturn“ (1841) und „Der Großglockner“ (1842).

Das Schicksal und die spirituelle Weiterentwicklung des Menschen nach seinem irdischen Tod thematisiert Lorber in „Die geistige Sonne“ (1842/43), „Von der Hölle bis zum Himmel. Die jenseitige Führung des Robert Blum“ (1848/51) und „Bischof Martin“ (1847/48). Die meisten seiner Werke wurden erst nach Lorbers Tod in dem 1924 gegründeten „Lorber-Verlag“ (früher „Neu Theosophischer Verlag“ bzw. „Neu-Salems-Verlag“) veröffentlicht.

Die Bewegung

In der Lorber-Bewegung gibt es keine festen Dogmen. Man versteht sich als Teil einer „Weltgemeinde der Liebesreligionen“. Lorber-Freunde sehen sich in einer engen Verbindung zu fremdreligiösen Gruppen wie den Bahai, den Bhakti-Bewegungen des Hinduismus, sowie Tao Yuan und Oomoto.

Die Zusammenkünfte der Lorber-Freunde bestehen gewöhnlich aus Vorträgen und Diskussionen, gelegentlich ergänzt durch gemeinsames Essen, Naturwanderungen, Musizieren und Beten. Umstritten unter den Lorber-Anhängern ist die Bedeutung der sogenannten „Vatermedien“ (z.B. Franz Schumi, Gottfried Mayerhofer, Bertha Dudde, Leopold Engel, Johanne Ladner). Diese Personen behaupten, ähnlich wie Lorber, auch heute noch die „Vaterstimme im Herzen“ zu hören, die ihnen neue, aktuelle Offenbarungen mitteile.

Die Vergebung der Schuld des Menschen durch den Tod Jesu Christi steht nicht im Mittelpunkt des Lorber-Glaubens. Weit eher geht es um ein engagiertes soziales Leben, um die „innere Stimme“ Gottes in jedem Menschen und um das Verstehen der „tieferen Zusammenhänge“ der Welt.

In den 1930er Jahren gab es in Deutschland rund 500 Lorber-Ortsgruppen. In dieser Zeit übernahmen die Lorber-Freude zahlreiche Ideen der nationalsozialistischen Ideologie. Adolf Hitler bezeichneten sie irrtümlich als gottesfürchtigen Friedensmenschen. In Deutschland rechnet man heute mit rund 3.000 Lorber-Anhängern und Sympathisanten. Viele von ihnen besuchen einen der 30 Lorber-Gesprächskreise.

Lorber-Gedankengut wird insbesondere durch den Lorber-Verlag im badenwürttembergischen Bietigheim-Bissingen, durch die beiden Zeitschriften „Das Wort“ und „Geistiges Leben“, sowie durch die Internetseiten lorber-gesellschaft.de, j-lorber.de und lorber-jakob.de verbreitet. Abgesehen von den klassischen Lehren Jakob Lorbers wird hier auch über Themen wie Klimaveränderung, Quantenphysik, Gesundheit, Feuerbestattung, Suizid und Organspende geschrieben. Aus dem schweizerischen Neudorf vertreibt die Firma MIRON Lorbers „Sonnenheilmittel“ (Sonnen-Arkana).

Die Auswirkungen

Lorbers Idee des „inneren Wortes“ beeinflusste neureligiöse Bewegungen wie das „Universelle Leben“ der Gabriele Wittek. Seine Beschreibungen intelligenten Lebens auf anderen Planeten inspirierte die „UFO- Bewegung“ und den Musiker Karl-Heinz Stockhausen. Auch Adolf Josef Lanz (Jörg Lanz von Liebenfels), ein Vordenker nationalsozialistischer Ideologie, berief sich bei der Entwicklung seiner rassisch-okkultistischen Lehre („Ariosophie“) auf Lorber. In neuerer Zeit sind Vermischungen von Lorber-Gedankengut mit Yoga und Kinesiologie zu beobachten. Insgesamt treten die Lorber-Freunde nach außen hin zwar als einheitliche Bewegung auf, nach innen hin sind sie allerdings in zahlreiche Fraktionen zerstritten.

Die Lehre

Nach Lorber hat Gott das Universum nicht aus dem Nichts geschaffen. Es sei letztlich aus Gott selbst hervorgegangen. Allerdings hätte alles zuerst eine rein geistige Natur. Nach dem Vorbild gnostischer Systeme führt Lorber die materielle Welt auf das Böse zurück. Sterne, Planeten und andere Himmelskörper seien durch den Abfall Luzifers von Gott entstanden, der in eine fehlgeleitete Selbstliebe verfallen sei. In gewisser Weise werden die Himmelskörper als Lebewesen betrachtet, mit Mund, Magen und Ausscheidungsorganen. Der materielle Kosmos wird als gigantischer Mensch und als „verlorener Sohn“ beschrieben.

Gott ist für Lorber unendlich ewiger Geist, „Urgrund allen Seins“ und „Urmacht allen Lebens“. Sein Wesen ist gekennzeichnet von Liebe, Weisheit, Macht, Ernst, Geduld, Barmherzigkeit. Als „vollkommener Geistes-Urmensch“ ist er für ihn der Prototyp aller späteren Menschen. Gott befindet sich in einem unzugänglichen Licht, der „Gnadensonne“.

Die Menschen entstanden nach Lorbers Lehre als „Urfunken“ aus den Gedanken Gottes. Die dadurch geschaffenen „Urgeister“ riefen wiederum andere „Urgeister“ ins Leben, bis das ganze Universum mit freien Geistwesen angefüllt war. Aus Selbstsucht wandte sich Luzifer und einige andere Geistwesen von Gott ab. Daraufhin versiegten ihre Lebenskräfte und die lichten Ätherwesen bildeten den „Weltstoff“, den „Urnebel der Materie“. Um den geschädigten Geistern einen Entwicklungsweg zurück zu geistiger Vollkommenheit zu eröffnen, erschuf Gott die materielle Welt. Durch Luzifer sind die „göttlichen Partikel“ in das „Gefängnis des Geistes“, die Materie, gebannt. Auf dem von Lorber beschriebenen Weg geistiger Läuterung können die Geistfunken wieder zurück zu Gott gelangen.

In einem langwierigen Prozess entwickeln sich die „Gottesgeistfunken“ durch Schulung, Bewusstwerdung ihrer Situation und Besserung zu rein geistigen Wesen. Dabei werden sie durch den von Christus vermittelten „Liebesfunken unterstützt. Während des Erdenlebens muss sich jede Menschenseele entscheiden, ob sie den guten Geistern oder den Dämonen Luzifers folgen will. Hinter dem „Gottesgeistfunken“ liegt schon eine lange, stufenweise Entwicklung durch das Mineral-, Pflanzen- und Tierreich.

Im Gegensatz zu biblischen Aussagen wurde Jesus Christus nach Lorber erst im Laufe seines Lebens zu Gott. Auch später war lediglich der Geist Jesu Gott; sein Körper war ganz Mensch, gekennzeichnet vom Kampf mit Stolz, Herrschsucht und sexuellen Begierden. Den Gedanken der Trinität lehnt Lorber ab. Lorber lässt Jesus in seinen Schriften folgendes bekennen: „Ich selbst habe müssen so gut wie ein jeder andere ordentliche Mensch erst an einen Gott zu glauben anfangen…“ Jesus ist vor allem ein geistiges Vorbild und der Übermittler der „besten Lebensvorschriften“. Am Kreuz starb lediglich der menschliche Teil Jesu. Sein Tod dient nach Lorber auch nicht der Sündenvergebung aller Menschen, wie es die Bibel lehrt, sondern der Krönung eines moralisch geistig beispielhaften Lebens. Das Vorbild von Christus solle jeden Menschen ermutigen, auch sein eigenes Leben durch Gottesliebe und Nächstenliebe beherrschen zu lassen. Daraus resultiere eine „geistige Wiedergeburt“ und die Trennung der Seele von der Materie. Schlussendlich werde der „Gottesgeistfunken“ wieder eins mit seinem Ursprung.

Wer in seinem irdischen Leben keine „geistige Wiedergeburt“ nach Lorbers Lehre erreiche, wird entweder erneut reinkarniert (um sich geistig weiterentwickeln zu können), oder er wird im Jenseits von Schutzmächten und Engeln belehrt. Himmel und Hölle sind bei Lorber keine realen Orte, sondern lediglich geistige Zustände der sich entwickelnden Seele. Letztendlich werden alle „Geistfunken“ wieder mit Gott vereint sein (Allversöhnung).

Die Einordnung

Vieles spricht dafür, dass alle Aussagen, die von Lorber Jesus in den Mund gelegten worden sind, lediglich Meinungsäußerungen von Jakob Lorber selbst sind. So passt beispielsweise die vehemente Ablehnung der Eisenbahn weit eher zu der verbreiteten Technikskepsis in Lorbers Zeit, als zu einer ewigen Stellungnahme Gottes. Seltsam ist auch, dass Jesus Christus bei Lorber von „Maiskörnern“ spricht, die zur Zeit des Neuen Testamentes in Palästina vollkommen unbekannt waren. Nach Lorbers Prognose sollte Jesus Christus gegen 1920 leibhaftig wiederkommen. An anderen Stellen nennt er auch das Jahr 2030.

Die Lehren Lorbers widersprechen also der Bibel an zahlreichen Stellen: 1. Die Trinität gilt als „überheidnisch, dumm, blöde und blind“. 2. Jesus Christus ist nicht Gott. 3. Der Mensch benötigt keine Sündenvergebung durch Jesus Christus. 4. Lorbers Schriften sind der Bibel übergeordnet. 5. Es gibt kein ewiges Gericht nach dem Tod.

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Dieser Beitrag wurde im Brennpunkt Weltanschauung Ausgabe 2/2014 veröffentlicht.

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