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Kirche verschwindet heute auch ohne Stalin

Foto: Helmut Martin/pixelio.de

(AG WELT) „Die Kirche räumt sich selbst aus dem Weg“. Unter dieser Überschrift beschreibt Dankwart Guratzsch auf WELT ONLINE die Erfahrbarkeit der Kirche in Deutschland. Glaube und Kirche würden immer weniger Platz einnehmen, meint der 1939 in Dresden geborene Journalist, der 1957 nach Westdeutschland übersiedelte.

Dass die Kirche als Mittelpunkt einer Stadt erhalten bleibe, fordere heute kaum jemand, nicht einmal die Kirche selbst. Offenbar störe es keinen, wenn ein neues Wohnviertel gebaut werde, ohne einen Kirchenbau in die Planung einzubinden. Immer mehr Kirchengebäude würden für überflüssig erklärt, schreibt der Sohn des Schriftstellers und Lehrers Curt Guratzsch (1891–1965), der sich bereits Mitte der 1970er Jahre journalistisch auf die Fachgebiete Architektur und Stadtentwicklung spezialisierte.

Heute würden Kirchengebäude „in Gaststätten, Wohnhäuser und selbst in Tanzlokale umgewandelt, `entwidmet` oder abgerissen“, so Guratzsch. Sogar vor dem Einbau einer Sparkasse oder eines Spielkasinos schrecke man nicht zurück. Schon Napoleon und Stalin hätten Sakralgebäude zu Pferdeställen und Schwimmbädern umfunktioniert. Dies hätten sie jedoch aus Vorsatz getan, um die „Religion mit Stumpf und Stiel“ auszurotten.

Heute sei kein Stalin mehr notwendig. Die Kirche räume sich selbst aus dem Weg, kommentiert der promovierte Journalist. Man begründe Kirchenschließungen mit „Kosten-Nutzen-Rechnungen, schwindenden Gemeindezahlen, rückläufigen Steuereinnahmen, Pfarrer- und Priestermangel“. Aber auch die Sprachregelung habe sich gewandelt. Kirchenvertreter redeten nur noch von „Immobilien“ statt von „Gotteshäusern“.

Der einstige DDR-Staatsratsvorsitzende Walter Ulbricht sei mit seinem Programm zur Entkirchlichung der DDR nicht zuletzt deshalb so erfolgreich gewesen, „weil mit der Niederlegung der Gebäude auch die Religion verächtlich gemacht, gedemütigt und ausgegrenzt wurde“, schreibt Guratzsch. Indem man den Gläubigen die sichtbaren Zeugen für die öffentliche Geltung ihrer „Werte“ nehme, schwäche man auch die Geltung dieser Werte für die Gläubigen selbst.

Und Guratzsch bringt sein Befremden zur Situation der Kirchen in Deutschland auf den Punkt:

„Wo Gemeinden Gebäude aufgeben, den Altar durch einen Küchentisch, den Gottesdienst durch ein Frühstück ersetzen, wird der Rückzug auf Raten zum sich selbst verstärkenden Prozess… Alsbald sind die Türme nicht mehr Zeichen von Gemeinde, sondern Zeichen der Leere, Umfunktionierung und Verlegenheitsnutzung. Sie verlieren mit dem „Alleinstellungsmerkmal“ ihrer Bedeutung auch ihren „Nimbus“, der sie über die alltägliche Stadt erhob. Ihre Steine predigen nicht mehr Sammlung, Einkehr, Besinnung, sondern klingen hohl.“

Zum Abschluss seines Kommentars zitiert Guratzsch den Chronisten C. Büchsel aus seinen „Erinnerungen aus dem Leben eines Landgeistlichen“ (1888): „Es ist ein gutes Zeichen, dass auch in Berlin die Kirchen, in denen Gottes Wort nach den Bekenntnissen der Väter verkündet wird, gut besucht werden.“ So könne Symbolik Wunder wirken. Auch folgender Satz Büchels könne, so der WELT ONLINE – Kommentator, „erhellend für den heutigen Missstand der verlassenen Kirchen“ sein: Kirchen, in denen „freisinnige Pastoren“ predigten, stünden leer.

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