(AG WELT) Der eingetragene Verein „Sekten-Info Nordrhein-Westfalen“ hat seinen Bericht zum Jahr 2011 veröffentlicht.
Nach Angaben der Geschäftsführerin des Sektenberatungs- und Informationsdienstes, Sabine Riede, seien im vergangenen Jahr 1.102 Anfragen registriert worden. 667 Personen habe man „durch ausführliches Informationsmaterial und ein bis zwei klärende Gespräche Hilfestellung“ geben können. Bei mehr als 65 Prozent der Fälle sei „ein intensiverer und längerer Beratungsverlauf mit bis zu 18 Fachkontakten notwendig“ gewesen.
Die Informationsfragen befassen sich mit den Kategorien „Strukturvertriebe, guruistische Gruppen, Heilergruppen, synkretistische Neureligionen, Psychogruppen, fundamentalische Gruppen, Esoterik, Satanismus/Okkultismus, Scientology-Organisation und Sekten allgemein/Sonstige“.
Bei einem Vergleich der Kategorien falle auf, dass 2011 zum ersten Mal Informationsanfragen zu den „fundamentalistischen Gruppen“ mit einer Zahl von 127 besonders herausragen. Diese Entwicklung sei der „neuen Gruppierung“ der Salafisten geschuldet, die man dem „islamischen Fundamentalismus“ zuordne. Vorher hätten sich fast alle Anfragen auf den „christlichen Fundamentalismus“ bezogen. Die schnell wachsende Gruppierung der Salafisten, auf die auch der Verfassungsschutzbericht des Bundes hinwiese, missioniere „vor allem Jugendliche im Internet“ und erreiche „durch den Prediger und Konvertiten Pierre Vogel die Aufmerksamkeit vieler deutscher Jugendlicher“. Vor allem über den Verein „Muslim aktiv e.V.“ in Münster suchten die Salafisten „Kontakt zur Bevölkerung“.
Es habe aber auch Anfragen von Erzieherinnen und Lehrern gegeben, die über „christlich-fundamentalistische Eltern“ klagen, weil diese „Einfluss auf Unterrichtsgestaltung bzw. auf die Durchführung bestimmter Bräuche anlässlich von Feierlichkeiten in Kindergärten“ nehmen wollen. Sexualkundeunterricht, Buchbesprechungen von Harry-Potter, Hexen oder Feen sollten nach Ansicht der Eltern in Schulen und Kindergärten vermieden werden, sonst würden sie ihre Kinder nicht in die Schule bzw. den Kindergarten schicken.
„Zumindest für Schulen“ gebe ein Urteil des europäischen Gerichtshof, so Riede wertend, „erfreulicherweise Rückendeckung“ und stärke die Schulpflicht in Deutschland. „Mit dem Schulbesuch verbundene Spannungen zwischen religiöser Überzeugung und durch den Unterricht übermittelte Aufklärung“ seien, so das deutsche Bundesverfassungsgericht in einem Urteil (Aktenzeichen: 1BvR 1358/09), grundsätzlich zumutbar.
Im Bereich der Esoterik hätte, so der Sekten-Verein, die Zahl der Beratungsfälle die Zahl der Anfragen übertroffen. Dies zeige, dass dieser Komplex in der Gesellschaft am meisten wachse „und häufig nicht rechtzeitig als gefährlich angesehen“ werde. „Nicht nur christliche Fundamentalisten“ warteten auf den Weltuntergang, sondern auch ein Teil der „esoterisch-gläubigen Menschen“, so Riede. Weltuntergangsvorstellungen habe es schon immer gegeben, und werde es auch weiterhin geben. So sei der Film „2012“ von Roland Emmerich wohl deshalb „ein Kassenschlager“ geworden, weil dieses Thema Menschen fasziniere. Es habe aber auch sehr gefährliche Entwicklungen im Bereich der Esoterik gegeben. So habe das Verwaltungsgericht Kassel einen Kindergarten in Rothenburg schließen müssen, weil „magische und esoterische Elemente“ wie Pendeln und das Entfernen von „Frauenhass-Implantaten“ mittels „virtuellem Staubsauger“ in die Erziehung eingeflossen seien (Aktenzeichen: 5K484/10.KS).
Der Boom im Bereich alternativer Heilverfahren in NRW halte an. Für die Inanspruchnahme von Heilbehandlungen durch Handauflegen oder Fluchbeseitigungen mit bestimmten Ritualen entstünden Kosten zwischen 120 bis 50.000 EURO. Der einzelne Bürger könne nur sehr schwer erkennen, was der Wahrheit entspräche und was nicht. Dass die Evangelische Kirche im Rheinland ein Disziplinarverfahren gegen den früheren Fernsehpfarrer Jürgen Fliege eingeleitet hat, begrüßt die Sektenberatungsstelle mit den Worten: „Jürgen Fliege hatte den Esoterik-Scharlatanen immer wieder ungeprüft eine Werbeplattform für ihre Ideen ermöglicht. Zum Schluss hatte er sogar sein eigenes Heilwasser angeboten.“
Anfragen zur Scientology-Organisation seien im Vergleich zu den letzten fünf Jahren deutlich niedriger ausgefallen und nähmen Platz Drei ein. Immer mehr hochrangige Mitglieder und Prominente verließen die Organisation und berichteten von ihren schlechten Erfahrungen mit Scientology. Unter den Aussteigern sei beispielsweise auch der Sohn von Star-Tenor Placido Domingo. „Der Bruch der Schweigepflicht, Kontaktsperren, Mobbing, Kindesmissbrauch, Zwangsarbeit und Freiheitsberaubung“ würden als „schwere Vorwürfe“ gegen Scientology erhoben. Immer wieder würde die Organisation versuchen, mit Bildungsbroschüren in Schulen vorzudringen und „durch persönliche Kontakte oder mit Hilfe ihrer Tarnorganisationen „Jugend für Menschenrechte“ und „Sag Nein zu Drogen – Sag ja zum Leben“ Jugendliche über Facebook, Youtube oder in Foren zu missionieren“. Neu sei eine Kampagne der Scientology-Organisation mit dem Buch „Der Weg zum Glücklichsein“, das allen Schulbibliotheken kostenlos zur Verfügung gestellt werde.
Der eingetragene Verein „Universelles Leben“ zähle zu den synkretistischen Neureligion und stehe in der Liste der Beratungskategorien auf Platz Vier. Seine Anhänger glaubten ausschließlich Offenbarungen ihrer „Prophetin Gabriele Wittek“ und machten „mit Werbung für Naturkost, Tierschutz und antikirchlicher Propaganda“ Menschen auf sich aufmerksam. Bei den „guruistischen Gruppierungen“ habe man, so Riede, „nicht viel Neues“ zu berichten. Auch Okkultes sei, bis auf Wahrsager, die inzwischen einheitlich zum Bereich der Esoterik mitgezählt würden, rückläufig. Beratung zum Satanismus werde meist erst dann in Anspruch genommen, wenn es bereits zu „Körperverletzungen oder traumatischen Erlebnissen“ gekommen sei.
Der „Sekten-Info Nordrhein-Westfalen e.V.“ wurde nach eigenen Angaben 1984 unter dem Namen „Sekten-Info Essen e.V.“ gegründet, werde größtenteils vom Land Nordrhein-Westfalen und von der Stadt Essen gefördert und ist u.a. Mitglied im Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverband (DPWV) und in der Aktion für geistige und psychische Freiheit (AGPF). Letztere sieht sich als weltanschaulich, religiös und politisch neutral.