Einer Frau scheint das nicht zu passen. Sie stört lautstark die sich anschließende Signierstunde des Autors. Ihre Aussagen seien, so eine Besucherin, „verwirrend“ gewesen. Doch man habe ihr Treiben recht gelassen hingenommen.
Etwa eine Stunde später steht dieselbe Frau mit tiefschwarzem Haar gemeinsam mit ihrer Tochter am Stand der Evangelischen Nachrichtenagentur idea. Wieder provoziert sie und stellt den Glauben des idea-Marketingleiters in Frage.
Mit ihrer Tochter, die keineswegs unsymphatisch wirkt, gehe ich ein Stück beiseite und frage sie nach ihrer Glaubensgrundlage. Etwas verdutzt antwortet sie: „Jesus Christus“. Sie gehöre keiner christlichen Gemeinde an. Strukturen seien gegen Gottes Willen und damit auch jede kirchliche Organisation. Wenn Gott sie rufe, dann gehe sie los um Menschen vor Verstrickungen in kirchlichen Strukturen zu warnen oder sie herauszuholen.
Gerade noch kann ich ihr ein Exemplar meines kleinen evangelistischen Büchleins schenken, da kommt auch schon ihre Mutter dazu. Ihr Gesicht lässt Zorn erkennen, ihre Augen sind kalt und leer. Weil ich ihr sage, dass ich mit meiner Familie eine Gemeinde der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Sachsen besuche, geht sie mich mit harten Worten an.
Dann frage ich die Wortführerin, ob sie ihr Auftreten mit dem Evangelium von Jesus Christus in Einklang bringen könne. Da rastet sie völlig aus. Und wie vom Erdboden verschluckt sind beide Frauen plötzlich im Messegetümmel verschwunden. Noch etwas aufgeregt von diesem Erlebnis setze ich mich in die Cafeeterria nebenan. Als ich an unseren Messestand zurückkomme, überreicht mir unser Marketingleiter „von der schwarzhaarigen Frau“ einen handgeschriebenen Brief. Darin steht:
„Gottes Urteil über Sie! Sie gewöhnen ein Volk Gottes an den Schmutz der Welt, weil sie nicht in Angriff gehen (idea). Darum wird Ihnen Gott eines Tages einen Mühlstein um den Hals legen. Ein Himmelsbote.“
Kurze Zeit später treffe ich auf Aussteller, die von derselben Frau eine Broschüre bekommen haben mit dem Titel „Überfließendes Leben durch Wahrheit im Denken“. Der Autor ist Horst Schaffranek. Auf der Rückseite steht die Telefonnummer der Frau mit der Vorwahl 034297. Demnach muss sie in Liebertwolkwitz bei Leipzig wohnen.
Die beiden Frauen gehören also zu den Anhängern einer Gruppe, die sich nach den Lehren Schaffraneks „Sein wunderbares Leben heute“ nennt. Schaffranek war früher Pastor einer freikirchlichen Gemeinde und machte sich nach kurzer Zeit als Lehrer und Evangelist selbständig. Die Schaffranek-Anhänger postulieren, dass es „nur eine wahre Ortsgemeinde“ als Versammlung geistlich wiedergeborener Christen geben kann.
Die relativ kleine Gruppe mit schätzungsweise etwa einhundert engen Anhängern geht wie ein Heckenschützenkommando gegen alle Christen vor, die Glied einer Kirche oder Gemeinde sind. Sie sind völlig davon überzeugt, dass nur sie allein vom Geist Gottes geleitet werden.
In ihren deutschlandweiten „Missionseinsätzen“ proklamieren sie, dass sie die völlige Verdorbenheit des Menschen erkennen und die „alte Natur“ abgetötet werden muss. Durch den Opfertod Christi allein könne dies aber nicht geschehen, wenn nicht eigene Anstrengungen hinzukämen.
Die „Schaffraneks“ stellen mit ihrem unsensiblen Auftreten und ihrem Wahrheitsanspruch ihre eigene Lehre in Frage. Denn sie schüren Unzufriedenheit und forcieren Gemeindespaltungen. Evangelisationen sollen ihrer Ansicht nach vollständig aufgegeben werden. Damit widersprechen sie dem Auftrag Jesu im 28. Kapitel des Matthäusevangeliums.
Selbstverständlich ist die Auftrennung der Christenheit nicht im Sinne des Schöpfers. Doch die Behauptung, die Schaffranek-Gruppe sei die einzig wahre Christengemeinschaft und alle müssten sich dieser einzig wahren Lehre anschließen, ist zerstörerisch. Zerstörung von Gemeinschaft in Christus aber ist teuflisch.
Thomas Schneider