Auszug aus dem Titel „Was braucht die Evangelische Kirche?“ (PDF-Version)
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I. Die Evangelische Kirche braucht eine neue Reformation
1. Die gegenwärtige kirchliche Lage
Die evangelischen Kirchen in vielen Ländern haben sich heute sehr weit von ihrer biblisch reformatorischen Grundlage entfernt. Gewiß ist die evangelische Kirche eine allezeit zu reformierende Kirche (ecclesia semper reformanda). Doch heute ist der Graben zur biblisch reformatori-schen Norm sehr groß geworden. Eine Reformation ist daher innerhalb des Protestantismus! notwendiger denn je. Nachfolgend möchte ich anhand der dogmatischen Hauptpunkte (loci) einen systematischen Überblick über die gravierendsten Abweichungen geben.
Nach biblisch reformatorischer Sicht ist die Kirche eine Schöpfung des Wortes Gottes (creatura verbi Dei). Martin Luther schreibt: „Wo das Wort ist, da ist die Kirche“ („Ubi est verbum, ibi est ecclesia“; WA 39/2, 176). Im Augsburger Bekenntnis wird Kirche definiert als „Versammlung der Gläubigen, in der das Evangelium rein gelehrt und die Sakramente dem Evangelium gemäß verwaltet werden“ (CA 7). Auch Johannes Calvin führt aus: „Überall, wo wir wahrnehmen, daß Gottes Wort lauter (rein) gepredigt und gehört wird und die Sakramente nach der Einsetzung Christi verwaltet werden, läßt sich auf keinerlei Weise daran zweifeln, daß wir eine Kirche Gottes vor uns haben“ (Institutio Christianae Religionis IV,1,9).
Kirche ist eine Schöpfung des Wortes Gottes. Und dieses Wort ist ihr in einzigartiger und nicht zu überbietender Weise in der Bibel gegeben. Was geschieht aber, wenn der Kirche das Wort geraubt wird oder wenn sie sich selber dieses Wortes beraubt? Das ist keineswegs nur eine rhetorische Frage. Denn in genau dieser Situation des weithin verloren gegangenen Wortes Gottes befindet sich die evangelische Kirche heute.
Beginnend mit dem Zeitalter der Aufklärung und einer sich autonom gebärdenden Vernunft versuchte die Bibelkritik, sich des Wortes Gottes zu bemächtigen. Indem dieses gegen seinen Selbstanspruch (vgl. z.B. Joh 17,17; 1.Tim 3,16; 2.Pet 1,20f.) wie ein bloßes Menschenwort behandelt wurde, büßte es für viele seine Autorität ein. Der Kirche wurde damit ihre Grundlage und Widerstandskraft gegen den Zeitgeist und die damit einhergehenden Ideologien weitgehend genommen.
Nikolaus Ludwig von Zinzendorf hat gedichtet: „Wenn dein Wort nicht mehr soll gelten worauf soll der Glaube ruh`n? Mir ist`s nicht um tausend Welten, aber um dein Wort zu tun.“ Dies läßt sich auch in bezug auf die Kirche sagen: Wenn dein Wort nicht mehr soll gelten worauf soll die Kirche ruh`n?
Vielen ist es nicht bewußt, daß die Bibelkritik letztlich einer Haltung des Skeptizismus (um nicht zu sagen: des Unglaubens) entstammt. Die Fähigkeit Gottes, sich etwa durch Zukunfts¬prophe¬tien zu offenbaren und Wunder zu tun, wird für unmöglich bzw. mit der autonomen Vernunft nicht vereinbar erklärt. Diese Haltung des Skeptizismus steht jedoch im Gegensatz zum durchgehenden Selbstanspruch der Heiligen Schrift. „Gelobt sei Gott der Herr, der Gott Israels, der allein Wunder tut“, lesen wir z. B. in Ps 72,18.
Die falsche, vom Skeptizismus geprägte Hermeneutik, wie sie sich etwa in der historisch kritischen Methode manifestiert, beruht folglich auf einem falschen Gottesbild. Sie stellt sich Gott als machtloses Prinzip gewissermaßen „ohne Arme und Beine“ vor, das nicht in den Weltenlauf eingreifen kann. Die Schriftfrage ist somit im Grunde eine Gottesfrage. Unser Verständnis, das wir von Gott haben, entscheidet über unser Verhältnis zur Heiligen Schrift.
Mit der Gotteslehre hängt die Christologie (Lehre von Christus) untrennbar zusammen. Hatte in altkirchlicher Zeit der als Ketzerei verurteilte Arianismus die ewige Gottheit Jesu Christi hinterfragt, Christus aber als übernatürlichen Logos (Wort Gottes) anerkannt, so stehen wir heute Irrlehren außerhalb und innerhalb der Kirchen gegenüber, im Vergleich zu denen der Arianismus fast schon als orthodox (rechtgläubig) gelten könnte. Abgesehen von ganz radikalen Christusgegnern, welche die Existenz Jesu Christi überhaupt bestreiten, wird ihm von vielen anderen nur noch sein Menschsein zuerkannt. Jesus sei ein Sozialrevolutionär, Befreier, Friedensprediger, Essener, Vorbild und ähnliches gewesen, aber keineswegs der Sohn Gottes bzw. Gott in der zweiten Person der Trinität (Dreieinigkeit). Solche Ansichten werden im Raum der evangelischen Kirche nicht nur geduldet, sondern von einflußreichen Theologen auch massiv vertreten.
In der Heiligen Schrift wird demgegenüber deutlich betont: „Das ist Gottes Zeugnis, daß er Zeugnis gegeben hat von seinem Sohn. Wer an den Sohn Gottes glaubt, der hat dieses Zeugnis in sich. Wer Gott nicht glaubt, der macht ihn zum Lügner; denn er glaubt nicht dem Zeugnis, das Gott gegeben hat von seinem Sohn … Wer den Sohn hat, der hat das Leben; wer den Sohn Gottes nicht hat, der hat das Leben nicht“ (1.Joh 5,9ff.).
Mit der Entleerung der Gotteslehre und Christologie geht eine Entleerung der Hamartiologie (Lehre von der Sünde) und Soteriologie (Lehre vom Heil) einher. Wo man Gottes Wort kritisiert, wo man Gott und seinem Sohn Jesus Christus keine übernatürliche Wirksamkeit zutraut, da bleibt der Mensch mit sich allein. Da bleibt ihm nur übrig, auf seinen angeblich „guten Kern“ zu vertrauen, seine sündhafte Verdorbenheit und Verlorenheit zu leugnen und sich krampfhaft um seine Selbsterlösung zu bemühen.
Solche teils offenen, teils versteckten Selbsterlö-sungs Ideologien haben in großer Zahl in die Kirchen Einzug gehalten. Als Beispiele seien genannt:
- eine feministische Blut „Theologie“, die das Heil aus den Kräften der Frau und ihrem Menstruationsblut anstatt von Jesus Christus erwartet;
- eine Befreiungs und Revolutions „Theologie“, die ihre Hoffnung auf die Kraft gesellschaftlicher Gruppen und deren revolutionären Kampf richtet;
- eine Psycho „Theologie“, die Heilung aus der Kraft des menschlichen Selbst und entsprechenden Techniken erhofft, welche der Selbst Verwirklichung dienen sollen.
Allen solchen Bestrebungen ist das Wort des Apostels Petrus entgegenzuhalten, das er im Blick auf Jesus als den lebendigen Sohn Gottes dem Hohen Rat in Jerusalem zugerufen hat: „In keinem an¬¬deren ist das Heil, auch ist kein anderer Name unter dem Himmel den Menschen gegeben, durch den wir gerettet werden“ (Apg 4,12).
Wo der Glaube an Gott und seine Macht verlorengeht, kommen die Dämonen durch die Hintertür herein. Und so sind auch auf dem Gebiet der Ethik Entwicklungen zu beobachten, die in ihrem Ausmaß und ihrer Wucht nur als dämonisch inspiriert beurteilt werden können. Ein Dammbruch ungeahnten Ausmaßes ist in den letzten Jahrzehnten in Gesellschaft und Kirche vieler Länder erfolgt. Zusammenfassend seien nur genannt:
- der ständig abnehmende Widerstand gegen die Kindestötung im Mutterleib, insbesondere in den evangelischen Kirchen;
- die wachsende Duldung (und zum Teil bereits „Segnung“) homosexueller Lebensformen;
- das weitgehende Fehlen klarer kirchlicher Stellungnahmen zu „freier Liebe“, unehelichem Zusammenleben, Pornographie, Polygamie, Inzest und Euthanasie.
Deutlich warnt die Heilige Schrift vor solchen Verirrungen und ihren Folgen:
„Darum hat sie Gott dahingegeben in schändliche Leidenschaften; denn ihre Frauen haben den natürlichen Verkehr vertauscht mit dem widernatürlichen; desgleichen haben auch die Männer den natürlichen Verkehr mit der Frau verlassen und sind in Begierde zueinander entbrannt und haben Mann mit Mann Schande getrieben und den Lohn ihrer Verirrung, wie es ja sein mußte, an sich selbst empfangen. Und wie sie es für nichts geachtet haben, Gott zu erkennen, hat sie Gott dahingegeben in verkehrten Sinn, so daß sie tun, was nicht recht ist, voll von aller Ungerechtigkeit, Schlechtigkeit, Habgier, Bosheit, voll Neid, Mord, Hader, List, Niedertracht; Zuträger, Verleumder, Gottesverächter, Frevler, hochmütig, prahlerisch, erfinderisch im Bösen, den Eltern ungehorsam, unvernünftig, treulos, lieblos, unbarmherzig. Sie wissen, daß, die solches tun, nach Gottes Recht den Tod verdienen; aber sie tun es nicht allein, sondern haben auch Gefallen an denen, die es tun“ (Röm 1,26-32).
„Oder wißt ihr nicht, daß die Ungerechten das Reich Gottes nicht ererben werden? Laßt euch nicht irreführen! Weder Unzüchtige noch Götzendiener, Ehebrecher, Lustknaben, Knabenschänder, Diebe, Geizige, Trunkenbolde, Lästerer oder Räuber werden das Reich Gottes ererben. Und solche sind einige von euch gewesen. Aber ihr seid reingewaschen, ihr seid geheiligt, ihr seid gerecht geworden durch den Namen des Herrn Jesus Christus und durch den Geist unseres Gottes“ (1.Kor 6,9-11).
Anstatt den etwa von sexueller Perversion betroffenen Menschen zu helfen und sie auf die heilende und befreiende Liebe Gottes hinzuweisen, sind die evangelischen Kirchen in einer leider wachsenden Zahl von Ländern dabei, deren Perversion gutzuheißen und sie in ihrer Sünde und Verlorenheit zu lassen. Eine solche Haltung das muß klar gesagt werden ist selber „pervers“. Sie läßt sich nur als Zeichen endzeitlicher Verblendung und Gerichtsreife verstehen. Zieht man zudem die gerade in Homo¬sexuellen Kreisen grassierende Aids Seuche in Betracht, dann wird man unweigerlich an folgendes Wort aus der Heiligen Schrift erinnert:
„Und die übrigen Leute, die nicht getötet wurden von diesen Plagen, bekehrten sich doch nicht von den Werken ihrer Hände, daß sie nicht mehr anbeteten die bösen Geister und die goldenen, silbernen, ehernen, steinernen und hölzernen Götzen, die weder sehen noch hören noch gehen können, und sie bekehrten sich auch nicht von ihren Morden, ihrer Zauberei, ihrer Unzucht und ihrer Dieberei“ (Offb 9,20f.).
In diesem Zitat ist von der Unzucht, aber auch von den „bösen Geistern“ die Rede, denen sich Menschen in der endzeitlichen Situation zunehmend öffnen. Betrachten wir nun das Gebiet der Pneumatologie (Lehre vom Heiligen Geist), dann sehen wir, daß diese bösen, dämonischen Geister immer frecher in den Raum der Kirche eindringen. Am gefährlichsten, weil verführerischsten dürfte die Behauptung sein, daß der Geist Gottes in allen Religionen wirke. Der Heilige Geist als die dritte Person der Dreieinigkeit sei geradezu identisch mit den Geistern des Hinduismus, Shinto¬ismus, der afrikanischen und indianischen Stammesreligionen.
Und auch in den Religionen Mohammeds, Buddhas, Zarathustras und vieler anderer Menschen offenbare sich derselbe göttliche Geist, der im Judentum und Christentum verehrt werde. Daß solche Ansichten mitten im Raum der Kirchen Fuß gefaßt haben, belegen zahlreiche gemeinsame Konferenzen und „Gebetstreffen“ mit Angehörigen anderer Religionen.
Die Heilige Schrift aber warnt deutlich vor jeder Form der Religionsvermischung: „Was die Heiden opfern, das opfern sie den bösen Geistern und nicht Gott. Nun will ich nicht, daß ihr in der Gemeinschaft der Dämonen seid“ (1.Kor 10,20). „Wie stimmt Christus mit Beliar überein? Oder was für ein Teil hat der Gläubige mit dem Ungläubigen? Was hat der Tempel Gottes gemeinsam mit den Götzen? … Geht aus von ihnen und sondert euch ab!“ (2.Kor 6,15ff.).
Nach allem Gesagten verwundert es nicht, daß auch in der Ekklesiologie (Lehre von der Kirche) klare biblische Maßstäbe verloren gegangen sind. Das zeigt sich vor allem darin, daß […]