PDF: Gottesdienstbesuch in Neuapostolischer Kirche
Es ist Sonntag früh. Heute bin ich innerlich etwas unruhig, denn ich werde nicht zu meiner Gemeinde fahren, sondern einen Gottesdienst der Neuapostolische Kirche (NAK) besuchen. Es interessiert mich einfach, wie die Mitglieder dieser Kirche so eine Stunde gestalten. Vielleicht kann ich meine Eindrücke in Gesprächen und Korrespondenzen mit Mitgliedern dieser Kirche nutzen, um besser auf sie eingehen zu können.
Jetzt muss ich mich aber erst einmal anziehen – nur was? Wie kleiden sich die Mitglieder dieser Kirche, wenn sie zum Gottesdienst gehen? Ich möchte nicht durch unangemessene Kleidung auffallen. Ich denke, eine Krawatte kann nicht schaden. Nun aber los, ich will pünktlich sein.
Da ist die Kirche und ich habe sie pünktlich erreicht. An der offen stehenden Kirchentür werde ich von einem Mann, gekleidet mit schwarzem Anzug, weißem Hemd und Krawatte, freundlich begrüßt. Im großen Foyer der Kirche begrüßt mich ein zweiter und ebenso gekleideter und freundlicher Mann. Ich erreiche die Tür, die zum Versammlungsraum führt. Dort wiederholt sich die Begrüßung zum dritten Male: Freundlicher Mann im schwarzen Anzug, weißes Hemd und Krawatte. Ich betrete den großen Raum und nehme in der vorletzten Reihe Platz.
Der Raum bietet für etwa 300 Personen Platz. Etwa 200 Personen sind gekommen. Bei den Anwesenden stelle ich fest, dass alle sehr gut gekleidet sind. Die Männer überwiegend mit Anzug und Krawatte, die Frauen meist mit guten Kleidern. Der Raum wirkt sehr hell und sauber. Es fällt auf, dass er sehr schlicht ausgestattet ist. Bilder und Pflanzen (abgesehen von einem kleinen Blumenstrauß auf dem Altartisch) sowie sonstige kirchliche oder dekorative Elemente fehlen. Hinter einer großen Glasscheibe an der Rückfront des Saales befindet sich ein großer abgetrennter Mutter-Kind-Bereich.
Gespannt warte ich nun auf den Beginn des Gottesdienstes. Plötzlich geht das Licht über dem Altar an und alle stehen wie auf Kommando auf. Sieben in schwarzen Anzügen gekleidete Männer ziehen in einer Reihe an mir vorüber Einer von ihnen stellt sich an den Altartisch, die anderen teilen sich in zwei Gruppen und stellen sich jeweils rechts und links neben dem Altar auf. Stehend wird ein Lied gesungen. Anschließend betet der Mann am Altar für einen „Stammapostel“, das muss wohl der „Papst“ der Neuapostolen sein. Nach dem Gebet dürfen wir uns wieder setzen. Nun singt der Chor (etwa 20 Personen) ein Lied. Der Mann, der die ganze Zeit am Altar steht, fängt an zu reden. Er verweist auf einen Bibeltext: 2. Petrus 1,6, den der „Stammapostel“ für heute bestimmt hätte. So langsam ahne ich, dass das „Reden“ wohl schon die Predigt sein soll. Deutlich zu merken ist, dass der Redner den Text nicht selbst gewählt hat, sondern ihm der Text vorgelegt wurde. Der Predigt fehlt die innere Überzeugung und Begeisterung. Sie erreicht mein Herz nicht.
Endlich ist die „Predigt“ vorbei und der Chor singt wieder ein Lied. Danach geben drei Männer aus dem „Kreis der Sieben“ kurze Ergänzungen zum Predigttext. Überbrückend singt immer der Chor ein Lied. Nun folgt das Abendmahl. Alle Anwesenden, auch die Kinder und Kleinstkinder, gehen geordnet Stuhlreihe für Stuhlreihe nach vorn und erhalten dort eine Oblate, auf der sich drei rote Punkte befinden, die wohl den Wein symbolisieren sollen. Ich bleibe an meinem Platz. Als Höhepunkt des Abendmahls wird die Sündenfreisprache durch die weitergereichte Vollmacht des Stammapostels verkündet. Allen, die am Abendmahl teilgenommen haben, werden nun die Sünden der letzten Woche vergeben.
Nach einem Abschlusslied ist der Gottesdienst zu Ende. Obwohl man mich als Fremden erkannt hat, spricht mich keiner der Anwesenden an. So verlasse ich das Gebäude und bin um eine Erfahrung reicher. Auf der Rückfahrt frage ich mich: Warum vertrauen die Menschen einem Stammapostel? Warum steht im Gottesdienst bei Gebet, Predigt und Sündenvergebung ein Stammapostel im Vordergrund?
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Autor: Martin Borst
(Quelle: Zeitjournal Nr. 3 / September 2009) © AG Welt e.V.