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Keine hoffnungslosen Fälle

PDF: Keine hoffnungslosen Fälle

„Die Hand des Herrn kam über mich, und der Herr führte mich im Geist hinaus und ließ mich nieder mitten auf der Ebene, und diese war voller Totengebeine. … Und er sprach zu mir: Menschensohn, diese Gebeine sind das ganze Haus Israel. Siehe, sie sprechen: Unsere Gebeine sind verdorrt, und unsere Hoffnung ist verloren; es ist aus mit uns! Darum weissage und sprich zu ihnen: So spricht Gott, der Herr: Siehe ich will eure Gräber öffnen und euch, mein Volk, aus euren Gräbern heraufbringen, und ich will euch wieder in das Land Israel bringen; und ihr sollt erkennen, dass ich der Herr bin …“ Hesekiel 37,1.11-13

Das muss ein erschreckendes Bild gewesen sein, dem sich der Prophet plötzlich gegenübersah: eine weite Ebene, voller menschlicher Knochen. Keine Leichen waren da zu sehen oder wohl geordnete Skelette, sondern verstreut über die ganze Ebene hier ein menschlicher Schädel, da ein Schienbein oder ein Schenkelknochen und dazwischen einzelne Zähne, Wirbel und Fingerknochen. Ein Bild des Grauens, der Zerstörung, des absoluten Todes! Keiner würde hier um Gesundheit für die ehemaligen Menschen bitten oder auf eine Auferweckung der Verstorbenen hoffen.

Mit diesem Bild des endgültigen Todes vergleicht Gott den Zustand seines Volkes Israel. Ihnen war Gott gleichgültig geworden. Sie wollten leben, feiern und ihre religiösen Bedürfnisse stillen, wie alle anderen Menschen in ihrer Umgebung auch. Die Israeliten verhielten sich nicht außergewöhnlich unmoralisch oder gottlos. Sie gingen einfach ihren alltäglichen Beschäftigungen nach, bauten ihre Häuser, ärgerten sich bei ihrer Arbeit, sparten etwas Geld für die Zukunft, hofften auf ein langes und gesundes Leben und feierten ab und zu. Die Regierenden bemühten sich die Steuern zu erhöhen, die notwendigen Kriege zur Sicherung des Friedens oder zur Mehrung des Wohlstandes zu führen und sonnten sich in ihrer echten oder vermeintlichen Bedeutsamkeit – wie alle anderen Bürger und Herrscher ihrer Umgebung auch. Aber sie vergaßen Gott, fanden in ihrem Alltag keine Erfüllung und scheiterten letztlich an ihren zu selbstsicher geführten politischen Spielchen. Israel wurde besetzt und geplündert, die Eroberer nahmen sich das beste Land und deportierten einen Teil der Bevölkerung. Jahrzehnte vergingen und längst bestand keine Aussicht mehr, als eigenständiges Volk erhalten zu bleiben oder gar wieder einen eigenen Staat zu bekommen. Viele hatten sich damit abgefunden, waren ganz mit ihrer Umwelt verschmolzen, wie Babylonier, Perser, Moabiter oder Syrer geworden. Nur einige Wenige trauerten der Geschichte ihrer Vorfahren mit Gott nach. Doch glichen diese Wenigen den verstreuten Knochen auf dem Feld. Umso überraschender musste sich das Versprechen Gottes anhören, das er dem Propheten Hesekiel (572 v. Chr.) gab. Er, Gott, kündigte das Undenkbare an: Gegen alle vernünftigen Prognosen sollte Israel als Volk überleben, sogar wieder als Volk in einem eigenen Land leben.

Gott hielt sein Versprechen. Unter Esra und Nehemia konnten viele Israeliten in ihre Heimat zurückreisen und schließlich sogar Jerusalem und den Tempel wieder aufbauen – bis eine erneute Abkehr von Gott, eine neue Oberflächlichkeit und selbstgefälliges politisches Taktieren zur wiederholten Zerstörung des Tempels und der Heiligen Stadt führte (Matth. 24).

Doch hielt Gott auch diesmal an seiner Zusage fest und ermöglichte nach rund 2000 Jahren die nochmalige Gründung des Staates Israel (1948). Noch um 1900 hatte es kein Politiker und wahrscheinlich auch kaum ein Jude für möglich gehalten, dass in wenigen Jahren erneut ein Staat Israel am gehabten Standort existieren würde. Doch Gott hielt sein Versprechen, das er Hesekiel gab, aus Liebe zu seinem Volk. Gott ist in der Lage, selbst aus absolut Totem wieder etwas Lebendiges entstehen zu lassen – damals wie heute.

Manch einer kennt solche Phasen, in denen er sich tot fühlt – geistlich, körperlich oder psychisch. Gott kann auch in wirklich aussichtslosen Situationen eine vollkommene Kehrtwende bewirken. Gott kann aus einem verfahrenen und toten Leben ein erfüllendes, lohnendes Leben machen; natürlich zu seinen Konditionen und in seinem Zeitplan. Aber auch hier gilt, dass Gott spätestens früh genug eingreift.

Manch einer hat sein Leben selber auf dem Gewissen, hat sich nie, nur aus Verpflichtung oder zur seelischen Entspannung mit Gott beschäftigt. Daneben führen viele zwar kein schlechtes Leben, aber eben auch keines, wie Gott es für die Menschen vorgesehen hat. Sie wollen nur das Leben genießen, etwas aus sich machen, Spaß haben. Und dagegen ist eigentlich nichts einzuwenden. Doch ein solches Leben kann keine Erfüllung auf Dauer bringen, weil es nur auf sich und den eigenen Freundeskreis, auf die eigene Gesundheit und den eigenen Wohlstand ausgerichtet ist. Früher oder später machen sich Frustration und eine innere Leere breit. Alles scheint hohl und schließlich tot zu sein.

Gott kann hier echtes Leben entstehen lassen, wenn ein Mensch beginnt, ihm zu vertrauen, sein Versagen zu bekennen, sein Leben mit ihm zu planen und zu besprechen und Gottes Werte und Prioritäten zu übernehmen.

Mancher Christ hat frustriert seine Gemeinde abgeschrieben. Scheinbar läuft da nichts mehr. Jeder kümmert sich nur um sich selbst und seinen kleinen Freundeskreis. Viele verlassen die Gemeinde, weil sie nichts mehr erwarten und oftmals auch nichts bekommen, was für ein Bleiben sprechen würde. Christen leben wie alle anderen Durchschnittsbürger auch: Sie ver-suchen viel aus ihrem Leben zu machen, ihren alltäglichen Spaß zu organisieren, ihren materiellen Vorteil zu sichern. Ihre Ehen scheitern ebenso häufig wie die ihrer unfrommen Zeitgenossen, von Medien und Werbung lassen sie sich genauso sagen, was „in“ ist, was angezogen und geglaubt werden soll. Da beschleicht manchen die Befürchtung, dass so einige Gemeinden tot sind, nur noch Toten-gebeine. Ein paar Knochen erinnern an frühere, glaubensintensivere Zeiten, wo Menschen ihr Glaube noch wirklich wichtig war.

Doch auch in solchen Situationen kann Gott neues Leben schaffen, echtes Leben, keine Selbst-Wiederbelebungsversuche durch mehr Feiern, Meditieren oder mehr Druck. Gott hat das in Deutschland schon mehrfach bewiesen: In gottvergessenen und gottlosen Zeiten, nach dem Dreißigjährigen Krieg, nach Zerstörung, Rücksichtslosigkeit und Kirchenmüdigkeit erweckte Gott im Pietismus neue Gemeinden, die ganz Deutschland und das Leben zahlloser Menschen veränderten. Nach Beginn der Industriellen Revolution, nach Landflucht und massenhaftem Sterben in den neuen Großstädten organisierte Gott die Erweckungsbewegung, in der Hunderttausende Hoffnung, Neuausrichtung und Sinn fanden. Tausende von lebendigen und glaubwürdigen Gemeinden entstanden. Daran zeigt sich, dass Gott aus scheinbar Totem wirklich etwas Lebendiges entstehen lassen kann.
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Autor: Michael Kotsch
(Quelle: Zeitjournal Mai 2010)

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