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Was will Eugen Drewermann?

Auszug aus dem Titel „Was will Eugen Drewermann?“ (PDF-Version)
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Einleitung

Von den einen wird er als „der neue Luther“ bejubelt. Von anderen wird er als Ketzer verschmäht. Und viele wissen nicht, was sie von ihm halten sollen. Die einen betrachten ihn als Propheten und Märtyrer, der den Mut hat, gegen eine verkrustete und verknöcherte Amtskirche aufzustehen. Andere sehen ihn als geschickten Demagogen, als gefährlichen Instrumentalisten der Massenpsychologie, als Verführer der Christenheit. Wo er hinkommt, füllen sich die Säle. Die Auflagen seiner Bücher haben die Millionengrenze überschritten. Seine Kirchenkritik, seine therapeutischen Erkenntnisse und seine tiefenpsychologische Bibelauslegung haben Tausende inspiriert. Die Rede ist von dem Theologen und Psychotherapeuten Dr. Eugen Drewermann.

Wer ist Drewermann eigentlich? Was lehrt er? Wie ist seine Lehre zu beurteilen? Darum soll es im folgenden gehen. Es kann sich in diesem Rahmen nur um einen kurzen Überblick handeln. Eine ausführlichere Darstellung, Würdigung und Kritik seiner Position findet sich in dem Buch „Was nun, Herr Drewermann? Anfragen an die tiefenpsychologische Bibelauslegung“ (Lahr-Dinglingen 1993), das ich zusammen mit Pfarrer Johannes Lange (inzwischen Rektor der Christlichen Universität St. Petersburg) herausgegeben habe.

Hinweis: Die Werke Eugen Drewermanns werden im fortlaufenden Text mit folgenden Abkürzungen zitiert:

 
1. Wer ist Eugen Drewermann?

Eugen Drewermann wurde am 20. Juni 1940 in der westfälischen Bergarbeiter-Gemeinde Bergkamen geboren und katholisch getauft. Die Mutter war katholisch, der im Kohlebergbau tätige Vater jedoch evangelisch. In einem Interview im Norddeutschen Rundfunk vom 16. März 1991 bezeichnete Drewermann seinen Vater als „nicht religiös“: „Er dachte preußisch über die Religion. Das heißt, er tat seine Pflicht. Er ging zum Abendmahl gründonnerstags und hielt Luther für einen rechten Kerl. Aber die Bibel zu lesen – ich entsinne mich noch daran, wie ich die goldenen Seiten des Büchleins entblätterte, das er zur Konfirmation bekommen hatte, damals war er über 70; und er sagte dann lachend: ‘Junge, warum soll ich das lesen, ich versteh’s doch nicht`“ (WEG, S. 288).

Eine Erfahrung, die sich bis in seine spätere Theologie hinein auswirken sollte, machte der Vierjährige beim Bombenangriff der Alliierten auf Bergkamen 1944. Es war die Grunderfahrung der Angst und inneren Verunsicherung. Drewermann erzählt: „Ich muß als Kind erlebt haben, wie wenig Verlaß auf normale Lebensumstände ist. Ich glaub’, dies war eines meiner Schlüsselerlebnisse beim Bombardement auf Bergkamen 1944, als zwei Volltreffer auf den Bergstollen gingen, in dem die Bunker untergebracht waren – das Licht fiel aus, die Erde bebte, die Leute kreischten, gerieten in Panik -, daß auch Menschen, mit denen ich vorher noch Lieder gesungen hatte, bei denen ich auf dem Schoß gesessen hatte, völlig außer sich waren vor Angst Das war ein unheimliches Erlebnis: es ist auf die Menschen, die einem eigentlich am nächsten stehen, im Entscheidenden kein Verlaß. Ich muß das sehr früh kompensiert haben mit der Hoffnung, daß es irgendwo doch eine Sicherheit gäbe, jedenfalls war davon ja ständig die Rede. Ich hab’ sie gesucht, irgendwie, in der Kirche, im Tabernakel, in meinem Kopfkissen, in meinem Teddybär. Irgendwas hab’ ich im Arm gehalten oder wollte ich festhalten. Ich glaub’, das war meine Art von Religion, die dann nie aufgehört hat. Ich hatte ständig irgendwelche metaphysischen Fragen und immer meine Schwierigkeiten mit Religionslehrern und Professoren, die klare Antworten da sahen, wo ich ganz unklare Fragen und Probleme wahrzunehmen glaubte. Es war der ganze Weg zum Priestertum alles andere als einfach“ (WEG, S. 289).

Von dieser inneren Verunsicherung und Angst erfüllt, fand Drewermann später seine geistige Heimat in der Welt existentialistischer Philosophen. Er berichtet: „Richtig ist, daß ich mit 17 Jahren damals in einer schweren Krise steckte; wenn es den Existentialismus nicht gegeben hätte, man hatte ihn meinetwegen erfinden müssen, oder ich selber hätte ihn erfunden. Das ist bis heute mein geistiges Terrain geblieben, sehr erweitert freilich in vielerlei Richtungen. Aber vom Ensemble der Gefühle her entspricht diese Welt Sartres, Camus`, Kierkegaards, Heideggers ohne Zweifel mir am meisten. Kierkegaard war derjenige, der die Worte fand für das, was ich erlebte. Sein ganzes Denken ging um Angst, um Verzweiflung, um Krankheit zum Tode. Genau das entspricht mir sehr und war für mich damals der einzige Weg, um zu überleben. Und es war wichtiger als jeder Papst, jeder Religionslehrer. Es war die einzige geistige Autorität, die ich damals hatte“ (WEG, S. 289).

So fühlte sich Drewermann eher zu einem liberalen Protestantismus als zu einem engen Katholizismus hingezogen, wie ihm sich dieser vor allem in seiner vorkonziliaren Gestalt (vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil) zeigte. Daß er dann dennoch von 1959-65 in Paderborn und Münster katholische Theologie und Philosophie studierte und Priester werden wollte, hängt mit dem Rat zusammen, den ihm ein Lateinlehrer auf dem Gymnasium gab: „Drewer-mann, es gibt gute Protestanten auch unter den Katholiken, so wie es gute Katholiken unter den Protestanten gibt. Ich glaube, Sie sollten katholisch bleiben“ (WEG, S.290).

1966 wurde er zum Priester geweiht und nahm bis 1968 eine Stelle als Kaplan im lippischen Kurort Bad Driburg bei Paderborn wahr. Als er dort mit den seelischen Problemen der Menschen, ihren „Liebesabenteuern“ und ihrer „Verzweiflung über die Untreue“ konfrontiert wurde, begann er zunehmend, an den katholischen Moralvorstellungen zu zweifeln und sich für die psychoanalytischen Erklärungsversuche zu interessieren: „Es war deutlich, daß die Menschen litten, aber nicht schuldig waren, und daß ich, wenn ich sie verstehen wollte, Bereiche des Daseins kennenlernen müßte, die mir im gesamten Theologiestudium nicht vertraut geworden waren, die Bereiche des Unbewußten. So bin ich damals zur Psychoanalyse gekommen“ (WEG, S. 291).

Ab 1968 ließ er sich in einem psychotherapeutischen Institut bei Göttingen in der Neopsychoanalyse von Schultz-Hencke ausbilden. 1970 erhielt er die Freistellung zum Promotionsstudium an der Theologischen Fakultät der Universität Paderborn. Sein Doktorvater war der Systematiker Prof. Heribert Mühlen. 1977 wurde seine Promotionsschrift „Strukturen des Bösen“ aufgrund einer das Maß einer Dissertation weit übersteigenden Leistung zugleich als Habilitationsschrift angenommen, so daß ihm der Weg an die Universität offenstand. Im gleichen Jahr erteilte ihm der Kanzler der theologischen Fakultät, Bischof Johannes Joachim Degenhardt – sein späterer Gegenspieler! – die Zulassung als Privatdozent für das Fach „Katholische Dogmatik“.

In den 80er Jahren kam es zu einer wachsenden Entfremdung Drewermanns von der römisch-katholischen Kirche und vom überlieferten christlichen Glauben überhaupt, vor allem auf dem Feld des Bibelverständnisses und der Christologie, aber auch der katholischen Moral- und Amtsauffassung. Vorladungen, Lehrge¬spräche und ein langdauernder Briefwechsel insbesondere mit Erzbischof Degenhardt führten zu keiner Einigung. So wurde Eugen Drewermann am 7. Oktober 1991 die Lehrbefugnis an der Paderborner Theologischen Fakultät wieder entzogen – und am 9. Januar 1992 darüber hinaus die Predigtbefugnis. Als Gründe für den Entzug der Predigtbefugnis werden in dem von Erzbischof Degenhardt unterzeichneten Dekret genannt: „Abweichungen von der Glaubenslehre der katholischen Kirche über die Einsetzung der Sakramente, vor allem auch der Eucharistie und des Priestertums durch Jesus Christus, über das katholische Verständnis des Kreuzestodes Christi, über die Feier der Eucharistie und des priesterlichen Dienstes, über die Geburt aus der Jungfrau Maria (Jungfrauengeburt), über die Autorität der Kirche und der Bischöfe in Sachen des Glaubens und der Sitten sowie erneut aber die sittliche Beurteilung der Abtreibung durch das kirchliche Lehramt.“ Unter den „Anklagen“ findet sich der Satz: „Sie leugnen, daß Jesus von Nazareth der ‘Christus, der Sohn des lebendigen Gottes’ (Mt 16,16) wirklich und in einzigartiger Weise ist“ (WEG, S. 455f.).

Ist Drewermann mit dieser Verurteilung durch die römisch-katholische Kirche Unrecht geschehen? Oder gibt es doch Punkte in seiner Lehre, die auch nach evangelischem Verständnis eine Kritik aus biblisch-theologischer Sicht rechtfertigen? Darum soll es im folgenden gehen.

 
2. Was lehrt Eugen Drewermann?

2.1. Die Grundbefindlichkeit der Angst

Als ein Journalist Eugen Drewermann fragte, ob sein entscheidendes Anliegen „die Erlösung aus der Angst“ sei, antwortete dieser: „Das ist vollkommen richtig … Dazwischen steht unser ganzes Leben: zwischen Angst und Vertrauen“ (WEG, S.295).

Dieser Grundkonflikt zwischen Angst und Vertrauen durchzieht wie ein roter Faden sein frühes dreibändiges Werk „Strukturen des Bösen“, in dem er die „jahwistische Urgeschichte“ exegetisch, psychoanalytisch und philosophisch deutet. Vereinfacht läßt sich Drewermanns Anliegen so zusammenfassen: Der „Mythos vom Sündenfall“ in 1.Mo 2-11 ist ein großartiges Bild für den Menschen, der sich seines Wesens, seines Ausgeliefertseins an das Dasein und seines Ungenügens bewußt wird. Seine Existenz wird bestimmt von der Angst: Angst vor der eigenen Minderwertigkeit und dem Versagen, Angst vor einem strafenden Gott, Angst vor der Vergänglichkeit und dem Nichts. Um gegen diese Angst anzugehen, liefert sich der Mensch der Schlange aus, und das heißt: dem Trieb und der Versuchung, die anderen zu beherrschen und auch Herr über Gott sein zu wollen. Dadurch aber wächst die Angst noch mehr, denn „der Mensch, der aus Angst in die Sünde hineingerät, (hat) nach und in der Sünde noch größere Angst vor Gott“ (SdB I, S. 107). Immer tiefer stürzt er in die Verzweiflung und Neurose hinein und wird unentrinnbar in den „Strukturen des Bösen“ gefangen.

Es gibt nur einen Weg zur Befreiung: das Vertrauen auf Gottes Liebe, der dem Menschen seine Schuld frei vergibt. Gott muß hierfür eine Person sein, die dem Menschen gegenübertritt und ihm einen angstfreien Raum eröffnet, in dem er zu Gott und zu sich selbst finden kann. Gott muß sich auch zur Verfügung stellen, damit der Mensch – wie bei der psychoanalytischen Übertragung – seine neurotischen Haßimpulse auf ihn abladen kann, ohne Angst […]

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