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Was bewirkt Gruppendynamik?

Auszug aus dem Titel „Was bewirkt Gruppendynamik?“ (PDF-Version)
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L. Gassmann: Was bewirkt Gruppendynamik? (Reihe Aufklärung)
1. Aktuelle Situation

„Wie empfinden Sie das?“ – „Fühlen Sie, statt zu denken!“ – „Lassen Sie alles los!“ – „Vergessen Sie, was war! Leben Sie nur im Hier und Jetzt!“ – „Die Gruppe ist bei dir.“

Liebe Leserin, lieber Leser, haben Sie solche Sätze schon einmal gehört? Dann waren auch Sie vielleicht schon einmal in einer gruppendynamischen Situation.

Gruppendynamik ist heute weit verbreitet. In Heilstätten und Schulen, in Selbsterfahrungsgruppen und Seminaren, in Ausbildungsprogrammen für die Wirtschaft und die Kirche wird häufig mit gruppendynamischen Methoden gearbeitet. In jedem Kurs, bei jeder Tagung, überall, wo sich eine Gruppe trifft, muß man damit rechnen, auf Gruppendynamik zu stoßen. Es braucht nur jemand dabeizusein, der – oft unangekündigt – gruppendynamische Methoden einsetzt.

 
2. Gruppendynamik – was ist das?

Was ist Gruppendynamik überhaupt? Schon hier gibt es große Verwirrung. Gruppendynamik tritt fast nie unter ihrem eigentlichen Namen auf, sondern in vielfach veränderten Formen unter den verschiedensten Bezeichnungen. So wird eingeladen zu Selbsterfahrungs-, Encounter-, Sensitivitäts- und Gesprächsgruppen – und es handelt sich um Gruppendynamik. So nimmt man teil an einer Klinischen Seelsorgeausbildung, an einem Interaktions-, Konfrontations-, Kooperations-, Solidaritäts- und Kontakttraining – und man trifft auf Gruppendynamik. So hört man von Themenzentrierter Interaktion, Gestalttherapie, Psychodrama, Synanon, Transaktionsanalyse, Bioenergetik und Miniaturgesellschaft – und es ist Gruppendynamik. Ich erspare es Ihnen, die Ausgestaltungen der verschiedenen Formen zu beschreiben. Das ist auch gar nicht nötig. Denn im Kern sind alle Formen aufgebaut und haben das gleiche Ziel, nämlich die Veränderung von Menschen durch Menschen. Ein typischer gruppendynamischer Ablauf sei hier beschrieben:

Gruppen treffen sich in der Regel für ein Intensivwochenende (ca. 18 Stunden) oder eine Woche (ca. 40 Stunden) oder mehrere Wochen. Manchmal finden Gruppensitzungen auch ein- bis zweimal wöchentlich statt, jeweils z. B. 1- 2 Stunden lang, für den Zeitraum eines Jahres oder länger. Die Zahl schwankt zwischen 8 und 15 Teilnehmern. Jeder Teilnehmer muß bestimmte Regeln beachten, z. B.: Wir leben im Hier und Jetzt; wir reden darüber, wie wir uns hier und jetzt fühlen, weniger über Vergangenes und Zukünftiges. Keiner soll sich hinter einem „man“ oder „wir“ verstecken; jeder soll in der „Ich“-Form reden. Jeder soll absolut offen und ehrlich sein. – Meist trifft sich die Gruppe gezielt in Absonderung von der Außenwelt, d.h. der Tagungsort liegt so, daß die Gruppe unter sich sein kann.

Die erste Phase ist das sog. unfreezing, d.h. das „Auftauen“ starrer („eingefrorener“) Erlebnis- und Verhaltensweisen. Sie kann z.B. dadurch eingeleitet werden, daß der „Trainer“ oder „Therapeut“, der die Gruppe eingeladen hat, einfach schweigend und passiv dasitzt. Die Teilnehmer sind zunächst verwirrt und ängstlich. Dann äußern einzelne Unmutsgefühle: „Wozu sind wir überhaupt gekommen?“ – “Das ist doch Zeitverschwendung!“ – “Warum gibt der uns keine Antwort?“ Die Angriffe können sich bis zum verbalen „Killen des Trainers“ steigern, der jedoch seltsamerweise gar nicht darauf reagiert. Plötzlich aber entwickeln einige Teilnehmer Mitleid mit dem Trainer und richten ihre Aggressionen gegen die Gruppenmitglieder, die ihn am heftigsten angegriffen haben. Viele geben ihre persönlichsten Meinungen preis. Damit ist das Gespräch auf die Gefühlsebene gelenkt. Das Gefühl (Emotion) wird zum „Material“, mit dem die Methode arbeiten kann.

Die zweite Phase setzt ein: change („Veränderung“). Die Teilnehmer enthüllen nun ihre innersten Gefühle und Probleme. Der Trainer sowie Co-Trainer, „Reflektoren“ oder „Veränderungsagenten“ (Lewin), die manchmal unter die Teilnehmer gemischt sind, steuern das Gespräch in der gewünschten Richtung. Sie wissen dabei, wie sie die einzelnen Persönlichkeitstypen unter den Teilnehmern zu behandeln haben.

Sie wissen auch, wie die Beziehungen (Sympathien, Antipathien) zwischen den Teilnehmern strukturiert sind. Treten z. B. Hemmungen auf, sich seelisch zu entblößen, dann beginnt der Co-Trainer als erster, seine Gefühle zu äußern. Die Mehrzahl der Teilnehmer schließt sich meist an („Gruppenbeichte“). Wer sich nicht anschließt, wird zum Außenseiter abgestempelt. Der Gruppendruck wird für diesen schließlich unerträglich, so daß er darunter zusammenbricht und sich
auch entblößt – oder die Gruppe verläßt. Ein solches Zerbrechen ist der Punkt, an dem die meisten offenkundigen psychischen Schädigungen bei Teilnehmern entstehen.

Haben alle Teilnehmer „gebeichtet“, dann kann die dritte Phase eingeleitet werden, das refreezing („Wiedereinfrieren“). Ein wunderbares Gefühl der Harmonie tritt ein, ein “Wir-“ oder „Kollektivgefühl“. Nie haben sich die Teilnehmer vollständiger offenbart, nie sind sie vollständiger akzeptiert worden als in dieser Gruppe. Hier wird keine Schwäche und keine Sünde verurteilt, denn die neue Gruppenmoral lautet: „Alles ist erlaubt.“ Es kann so weit kommen, daß die Teilnehmer einander die Schuld „vergeben“ („Gruppenabsolution“). Gelegentlich wird die eintretende psychische Veränderung als „Wiedergeburt“ empfunden. Alle Werte, Regeln und Gebote (auch z. B. biblische Gebote!), alle weltanschaulichen, ethischen und religiösen Standpunkte sind nun nebensächlich; das Entscheidende ist das Vertrauen und die Wärme, die der erfährt, der sich der Meinung der Gruppe anschließt.

Es gibt gruppendynamische Methoden und Verfahrensschritte mit Worten (verbal) und ohne Worte (nonverbal). Einige Beispiele für nonverbale Methoden:

Im Rahmen der gruppendynamischen Methode sind das nicht mehr harmlose, neutrale “Spiele“, sondern Mittel zum methodisch gesetzten Zweck der Veränderung von Menschen durch Menschen.

Oft werden gruppendynamische Veranstaltungen mit solchen harmlos scheinenden Spielchen begonnen, die jedoch für den einzelnen dramatische Folgen haben können. H.-K. Hofmann berichtet von einem solchen Fall:

„Eine Pfarrwitwe mittleren Alters, die sich zum Gemeindedienst zurüstete, erlebte das sogenannte ´Streichhölzchenspiel` auf einer ‘Seelsorgetagung’. Der Leiter der Gruppe, ein Freund ihres verstorbenen Mannes, hatte ihre Wertschätzung. Als er das Hölzchen mit einem knackenden Laut in zwei Hälften brach und sagte: ‘Jeder zerbricht sein Hölzchen und gibt es dem in der Gruppe, der ihm am unsympathischsten ist’, rief sie spontan: ‘Nein, das dürfen Sie nicht tun!’ Daraufhin wandte er sich ihr zu und gab ihr wortlos das zerbrochene Streichholz. Sie erzählte uns: ‘Nun war in mir ein Signal überfahren. Von nun an war ich ein fast willenloses Werkzeug in den Händen des Leiters. Bei allen kommenden Übungen wollte ich seine Anerkennung und Zuneigung zurückgewinnen. Ich konnte nicht mehr beten, und es kam bei mir zu psychosomatischen Störungen.’“

Nochmals die Frage: Was ist Gruppendynamik? Gruppendynamik ist zunächst ein Forschungsgebiet mehrerer Wissenschaften, die sich mit den Vorgängen in Gruppen beschäftigen. Was hier aber interessiert, ist angewandte Gruppendynamik als Methode. Es ergibt sich (von den Wirkungen her gesehen) folgende Definition:

Gruppendynamik ist eine Methode zur bewußten Steuerung und Veränderung des Denkens und Handelns von Menschen auf dem Gefühlsweg mittels einer Gruppe.

Gruppendynamik findet also nicht statt, wenn sich eine Gruppe frei und ungezwungen über ein Thema unterhält. Frei ablaufende und nicht bewußt gesteuerte Gruppenprozesse sind als „Gruppendynamis“ zu bezeichnen (in Entsprechung zu „Thermodynamis“ – freie Entfaltung von Wärmeenergie). Sobald jedoch der Leiter oder einer der Teilnehmer beginnt, bewußt Gefühle bei den anderen freizusetzen mit dem Zweck der Steuerung, wird das Gebiet der Gruppendynamik betreten (in Entsprechung zu “Thermodynamik“ – methodische Erfassung und Beeinflussung von Wärmeenergie-Abläufen).

An der bewußten Steuerung also entscheidet es sich, ob Gruppendynamik vorliegt oder nicht. Wo gesteuert wird, ist Methode. Methode aber zerstört die Freiheit im mitmenschlichen Umgang. Im methodischen Korsett bleibt kein Raum für Spontaneität, Intuition und Liebe – alles Qualitäten, die nur der freie Mensch besitzt. Im methodischen Korsett herrscht auch nicht die Freiheit des Geistes Gottes, der “weht, wo er will“ (Joh 3,8). Deshalb kommt man in christlich verbrämter Gruppendynamik über „fromme Gefühlserlebnisse“ nicht hinaus. Der Geist Gottes läßt sich nicht in eine Methode zwingen, ja er ist, wie wir jetzt sehen werden, mit der Methode der Gruppendynamik gänzlich unvereinbar.

 
3. Die Begründer – was wollten sie?

Warum sind Gruppendynamik und Geist Gottes unvereinbar? Weil die Begründer der Gruppendynamik Ideologen waren und ihre Methoden gestalteten, um ihre ideologischen (weltanschaulichen) Ziele zu erreichen. Ideologien sind Ersatzreligionen, Schein-Heilswege an Gott, dem Vater Jesu Christi, vorbei und gegen Gott.

Jesus sagt: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater außer durch mich“ (Joh 14,6). Die Ideologen aber wollen zu ihren eigenen, selbstgemachten Göttern kommen, indem sie Ideale (Bilder) aufrichten wie: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, Nation, Übermensch, Wohlstand, Einheit usw. Statt an Jesus zu glauben, streben sie Idealen nach.

Anstelle des wahren lebendigen Gottes der Bibel verehren sie tote Götzen ihrer menschlichen Überheblichkeit. Letztlich ist Ideologie also Selbstvergottung des Menschen, Streben nach übermenschlicher Größe im „Sein-Wollen-wie-Gott“ (vgl. 1.Mo 3,5). Das aber ist die Ursünde des Menschen: Das Sein-Wollen-wie-Gott führt unaufhaltsam zur Trennung (Absonderung; daher das Wort „Sünde“) von Gott – und damit zur Einsamkeit. Deshalb ist übrigens der Mensch, der Gott nicht kennt, auch in der Gruppe einsam. Er giert nach immer neuen Gefühlserlebnissen im Schoß der Gruppe, weil er die wahre Geborgenheit bei Gott nicht kennt. So aber erlebt er nie wahre Gemeinschaft.

Jacob L Moreno, der „Vater“ des Psychodramas und der Soziometrie, sagt:2 „Es ist egal, ob Gott ´tot` ist. In der Gruppe können wir ihn neu verkörpern und schaffen.“ „Jeder darf seine Version Gottes durch seine Handlungen zum Ausdruck bringen.“ So gelangt Moreno zu der überraschenden Behauptung: „Gott ist nicht tot. Er lebt im Psychodrama!“ Für ihn ist Gruppendynamik neben Kommunismus und Demokratie die dritte bedeutende Weltanschauung, nämlich die „therapeutische Weltanschauung“ mit dem Ziel, eine einheitliche Gesellschaft zu schaffen. Solche Einheit wird aber nur auf Kosten der […]

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