Auszug aus dem Titel „Was kennzeichnet die Katholische Kirche?“ (PDF-Version)
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Einleitung
Hat sich die Römisch-Katholische Kirche wirklich geändert? Diese Frage erschallt im „Zeitalter der Ökumene” (auch zwischen Evangelikalen und Katholiken!) immer lauter.
In dieser Arbeit beschränke ich mich auf einen zentralen Aspekt des Katholizismus, nämlich sein Amts- und Kirchenverständnis. Ich stelle dieses im grundlegenden ersten Teil anhand heute gültiger katholischer Dokumente (v.a. Verlautbarungen des Zweiten Vatikanischen Konzils und Katechismus der Katholischen Kirche von 1993) dar. Durch zahlreiche Zitate aus Originalquellen und unter weitestgehender Zurückhaltung meiner eigenen Wertung möchte ich Ihnen, liebe Leserin, lieber Leser, Informationen in die Hand geben, die Ihnen eine sachliche Urteilsbildung ermöglichen können. Nachdem Sie den ersten Teil gelesen haben, werden Sie im zweiten Teil – in der Darstellung des reformatorischen Amts- und Kirchenverständnisses – Aussagen finden, die zum großen Teil im Kontrast zum katholischen Verständnis stehen. Es findet also gewissermaßen eine „Diskussion” zwischen Teil 1 und Teil 2 statt. Bitte prüfen Sie doch die unterschiedlichen Standpunkte anhand der Bibel!
Eine Hilfe hierzu kann Ihnen vielleicht meine Schrift „Was ist Gemeinde in biblischer Sicht?” sein, die ebenfalls in dieser Reihe erschienen ist. Eine umfassende Darstellung und Beurteilung des Katholizismus aus biblisch-theologischer Sicht ist von mir geplant. Unter den zahlreichen bereits erschienenen Büchern weise ich alle interessierten Leser besonders auf folgendes hin, das sich durch eine vorbildliche Gründlichkeit, Fairneß und Sachlichkeit auszeichnet:
James G. McCarthy: Das Evangelium nach Rom. Eine Gegenüberstellung der katholischen Lehre und der Heiligen Schrift, 446 Seiten, Christliche Literatur-Verbreitung, Postfach 110135, D-33661 Bielefeld
1. Die Kirche als Heilsanstalt
Grundlagen römisch-katholischer Ekklesiologie
(Ekklesiologie = Lehre von der Kirche)
Die nachfolgenden Zitate sind v.a. aus folgenden Werken entnommen: Josef Neuner/Heinrich Roos, Der Glaube der Kirche in den Urkunden der Lehrverkündigung, neubearbeitet von Karl Rahner u. Karl Heinz Weger, Regensburg, 10. Aufl. 1979 (abgekürzt: Neuner Roos); sowie aus: Katechismus der Katholischen Kirche, München/Wien/Leipzig/Freiburg/Linz 1993 (abgekürzt: KKK). Beide Werke werden in der Regel nicht nach Seiten, sondern nach Nummern zitiert.
1.1. Die Kirche ist der mystische Leib Christi
und als solcher das Ursakrament.
Sie ist unsichtbar und sichtbar zugleich.
Sie ist das Gottesvolk des Neuen Bundes.
a. Die Kirche ist der mystische Leib Christi. Sie bildet Christus nicht nur ab, sondern ist Christus selber in neuer Gestalt. Der KKK (Nr. 795) zitiert Augustin und Thomas von Aquin: „Lasst uns also jubeln und Dank sagen, dass wir nicht bloß Christen geworden sind, sondern Christus“ (Augustin, ev. Jo. 21,8). „Haupt und Glieder sind gleichsam eine mystische Person“ (Thomas v. A., S. th. III, q. 48, a. 2, ad 1).
Es besteht „ein wunderbar tiefes Verbundensein aller Gläubigen mit Christus, ganz wie zwischen dem Haupt und den übrigen Gliedern eines Leibes“. Dieses Verbundensein geht so weit, dass sogar „Christi Sühneleiden … in seinem geheimnisvollen Leibe, der Kirche, erneuert, gleichsam fortgesetzt und vollendet“ wird. Diese Fortsetzung des Sühneleidens Christi, die Sühnegemeinschaft mit ihm erfolgt insbesondere im „eucharistischen Opfer“ (Rundschreiben Papst Pius XI. „Miserentissimus Redemptor“, 1928; s. Neuner Roos Nr. 241ff.).
b. Die Kirche, die diese Sühnegemeinschaft mit Christus durch das eucharistische Opfer in vollkommener Weise pflegt und die Vollzahl der Sakramente besitzt, ist die römisch katholische. Diese „ist, in Analogie zum Herrn selbst, Ursakrament, d.h. sie kann als die sichtbar und greifbar gewordene Gnade Gottes dem Menschen in Wort und Sakrament unfehlbar das Heil zusagen und vermitteln“ (Neuner Roos S. 248). „Sie ist unter allen Völkern und Religionen das sichtbare Zeichen des bleibenden und für immer siegreichen Heilswillens Gottes und seiner Heilszusage in Jesus Christus. Sie weist nicht nur auf das übernatürliche Heil hin, sondern sie ist, trotz aller menschlichen Schwäche und trotz Sünde, die Sichtbarkeit der göttlichen Gnade selbst“ (Neuner Roos, S. 347).
In der Dogmatischen Konstitution über die Kirche „Lumen gentium“ des 2. Vatikanischen Konzils wurde 1964 als doppelter Zweck der sakramentalen Funktion der Kirche definiert: „Die Kirche ist ja in Christus gleichsam das Sakrament, das heißt Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit“ („Lumen gentium“ 1; s. Neuner Roos Nr. 408). Neben die vertikale tritt hier die horizontale, neben die theologische die anthropologische, neben die mystagogische die ökumenische, ja universalistische Dimension ein Beispiel für das „aggiornamento“ des 2. Vatikanums.
c. Wenn die Kirche der mystische Leib Christi und das Ursakra¬ment ist, so bedeutet dies keineswegs, dass sie unsichtbar ist. Sondern so wie beim „Mysterium des fleischgewordenen Wortes“, d.h. bei der Menschwerdung des Gottessohnes Jesus Christus, Geist und Leib, Unsichtbares und Sichtbares zusammenkommen, so ist auch die Kirche sichtbar und unsichtbar zugleich: „Die mit hierarchischen Organen ausgestattete Gesellschaft und der geheimnisvolle Leib Christi, die sichtbare Versammlung und die geistliche Gemeinschaft, die irdische Kirche und die mit himmlischen Gaben beschenkte Kirche sind nicht als zwei verschiedene Größen zu betrachten, sondern bilden eine einzige komplexe Wirklichkeit, die aus menschlichem und göttlichem Element zusammenwächst“ („Lumen Gentium“ 8, 1964; Neuner Roos Nr. 410).
d. Die Kirche ist auch das Gottesvolk des Neuen Bundes. Sie nimmt die Stelle ein, die dem Volk Israel im Alten Bund zukam (Substitution). Von der Anknüpfung an das alttestamentliche Priestertum und seiner Ablösung durch die katholische Kirche her erklären sich mancherlei Gebräuche, wie etwa der Opfercharakter der Eucharistie, bestimmte liturgische Elemente, die Verwendung von Priestergewändern, Weihrauch, Weihwasser und Ähnliches. In „Lumen gentium“ heißt es: Gott hat sich „das Volk Israel zum Eigenvolk erwählt und hat mit ihm einen Bund geschlossen und es Stufe für Stufe unterwiesen … Dies alles aber wurde zur Vorbereitung und zum Vorausbild jenes neuen und vollkommenen Bundes, der in Christus geschlossen, und der volleren Offenbarung, die durch das Wort Gottes selbst in seiner Fleischwerdung übermittelt werden sollte“ (Neuner Roos Nr. 413). Während die römisch-katholische Kirche zum jüdischen Glauben in früheren Jahrhunderten eher eine ablehnende Haltung einnahm, gesteht sie im neuen Katechismus zu, dass Gottes Gnade und Berufung gegenüber Israel „unwiderruflich“ sind, und spricht davon, dass „das Gottesvolk des Alten Bundes und das neue Volk Gottes ähnlichen Zielen“ zustreben, nämlich der „Ankunft (oder … Wiederkunft) des Messias“ (KKK Nr. 839f.).
1.2. Die Zugehörigkeit zur Kirche beruht auf
der Taufe und ist heilsnotwendig.
Unverschuldete Unkenntnis der Kirche
schließt aber nicht vom Heil aus.
Die römisch katholische Kirche lehrt die Taufwiedergeburt und betrachtet die Taufe als Sakrament des Eintritts in die Kirche (Initiation). Die Taufe hat in der katholischen Lehre eine fundamentale Bedeutung und ihr werden viele Wirkungen zugeschrieben, die sich im Neuen Testament auf den persönlichen Glauben beziehen. So heißt es im Katechismus: „Durch die Taufe werden wir von der Sünde befreit und als Söhne Gottes wiedergeboren; wir werden Glieder Christi, in die Kirche eingefügt und an ihrer Sendung beteiligt: ‘Die Taufe ist das Sakrament der Wiedergeburt durch das Wasser im Wort.`“ (KKK Nr. 1213). Da die Taufe als Initiationsritus verstanden wird, ist es selbstverständlich, dass die Kindertaufe als Regelfall gilt: „Die Kirche und die Eltern würden dem Kind die unschätzbare Gnade vorenthalten, Kind Gottes zu werden, wenn sie ihm nicht schon bald nach der Geburt die Taufe gewährten“ (KKK Nr. 1250).
Auch wenn gesagt wird, dass die Taufe „heilsnotwendig“ ist, der Seele „ein unauslöschliches Zeichen“ einprägt, „Geburt zum neuen Leben“ wirkt und der Getaufte „der Kirche, dem Leib Christi eingegliedert“ wird (KKK Nr. 1277ff.), so kommt ihr doch kein Automatismus zu. Der Getaufte kann auch des Heils verlustig gehen, und zwar dann, wenn er sich mit vollem Bewußtsein von der katholischen Kirche als dem Ursakrament und Leib Christi sowie vom „Glauben der Kirche“ (im Unterschied zum individuellen Glauben) abwendet: „Jeder Gläubige kann nur im Glauben der Kirche glauben“ (KKK Nr. 1253). „Wer sich willentlich der Kirche verschließt, verweigert sich dem Herrn selbst und damit seinem eigenen Heil“ (Neuner Roos, S. 248). Das Zweite Vatikanische Konzil hat folgende Unterscheidung getroffen: „Jene werden der Gemeinschaft der Kirche voll eingegliedert, die, im Besitze des Geistes Christi, ihre ganze Ordnung und alle in ihr eingerichteten Heilsmittel annehmen und in ihrem sichtbaren Verband mit Christus, der sie durch den Papst und die Bischöfe leitet, verbunden sind, und dies durch die Bande des Glaubensbekenntnisses, der Sakramente und der kirchlichen Leitung und Gemeinschaft. Nicht gerettet wird aber, wer, obwohl der Kirche eingegliedert, in der Liebe nicht verharrt und im Schoße der Kirche zwar ‘dem Leibe`, aber nicht ‘dem Herzen` nach verbleibt“ („Lumen Gentium“ 14; s. Neuner Roos Nr. 417).
Es ergibt sich also zweierlei: Zum einen, dass die Zugehörigkeit zur katholischen Kirche heilsnotwendig ist. Zum zweiten, dass eine bloße Mitgliedschaft „dem Leibe“, d.h. der irgendwann vollzogenen Taufe nach, nicht ausreicht, sondern dass eine innere Bejahung des „Glaubens der Kirche“, also eine Mitgliedschaft „dem Herzen nach“ hinzukommen muss.
Die Heilsnotwendigkeit der Mitgliedschaft in der römisch ka¬tholischen Kirche wurde in verschiedenen Dogmen schon früh zum Ausdruck gebracht. Bereits um 250 n. Chr. prägte der Kirchenvater Cyprian den Satz: „Salus extra ecclesiam non est (außerhalb der Kirche kein Heil“ (De ecclesiae catholicae unitate). Er wurde immer wieder in Verlautbarungen des römischen Stuhls aufgegriffen, so etwa bei der IV. Kirchenversammlung im Lateran im Jahre 1215: „Es gibt nur eine allgemeine Kirche der Gläubigen. Außer ihr wird keiner gerettet.“ Dieser Heilsanspruch wird mit der Dogmatisierung der Transsubstantiations Lehre im Zusammenhang mit dem eucharistischen Opfergedanken verknüpft: „In ihr (der heilsvermittelnden Kirche) ist Jesus Christus Priester und Opfer zugleich. Sein Leib und Blut ist im Sakrament des Altars unter den Gestalten von Brot und Wein wahrhaft enthalten, nachdem durch Gottes Macht das Brot in den Leib und der Wein in das Blut wesensverwandelt sind“ (Neuner Roos Nr. 375).
In Verlautbarungen des 1. und 2. Vatikanischen Konzils wurde der Exklusivitätsanspruch der katholischen Kirche, Heilsmittlerin zu sein, zwar grundsätzlich beibehalten, aber in seiner Anwendung doch etwas modifiziert. Die Zugehörigkeit „dem Herzen nach“ erlangte hier wesentliche Bedeutung. So heißt es im ersten Entwurf der Konstitution über die Kirche Christi des 1. Vatikanums aus dem Jahre 1870: „Außerhalb der Kirche kann niemand gerettet werden. Freilich sind nicht alle, die in unüberwindlicher Unwissenheit über Christus und seine Kirche leben, schon aufgrund dieser Unwissenheit ewig zu verdammen. Denn vor den Augen des Herrn trifft sie keine Schuld, der will, dass alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen. Er schenkt auch jedem seine Gnade, der sich nach Kräften müht, so dass er die Rechtfertigung und das ewige Leben erreichen kann. Diese Gnade erhält aber keiner, der von der Einheit des Glaubens oder von der […]